13. Januar 2017, Amazonischer Urwald, Brasilien

Virenkrieg Cover 001Soeben ist mein Roman Virenkrieg — Erstes Buch als gedrucktes Buch erschienen, und schon steht die Fortsetzung ins Haus: Skylla — Virenkrieg II soll im Frühjahr 2016 als E-Book erscheinen, im Herbst dann als gedrucktes Buch. Natürlich wird an dieser Stelle noch nichts darüber verraten, wie es mit dem Genetiker Jan Metzner nach dem „Gottesurteil“ weitergeht, dem er sich mehr oder weniger freiwillig selbst unterzogen hat. Stattdessen veröffentliche ich hier eine Leseprobe, die ursprünglich Prolog von Skylla sein sollte, nun aber als Prolog für Incubus — Virenkrieg III vorgesehen ist. Kleine Einstiegshilfe: Im Zuge des Fupro-Projekts schickt die amerikanische Regierung Erkundungsteams in entlegene Winkel unseres Planeten, um unbekannte Mikroorganismen zu finden.

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13. Januar 2017, Amazonischer Urwald, Brasilien

„Sind wir auf Sendung? Satellitenverbindung steht? Zentrale, hört ihr uns? Hallo Fletcher. Ich höre dich sehr gut. Alles wie besprochen, okay? Wir filmen den Abstieg, und ich rede nebenher einfach weiter wie immer? Haltet ihr das aus? Ich kann nicht in dieses Loch steigen und den Mund halten. Okay, ganz ruhig, Leute. Pedro, Juan, sitzen eure Schutzhelme? Atemmasken? Sauerstoff läuft? Handschuhe? Okay, alles bereit. Es kann losgehen. Denkt daran, Leute: Nichts anfassen da unten, verstanden? Passt auf, dass ihr mit den Fingern von euren Gesichtern wegbleibt, wenn ihr vorher irgendwas angefasst habt.

So, Fletcher, fürs Protokoll: Wir befinden uns hier unweit der Grenze zu Peru in Brasilien, im Quellgebiet des Juruá im dichtesten Regenwald, den ich jemals gesehen habe. Du siehst die genauen Koordinaten auf deinem Monitor. Luftfeuchtigkeit hundert Prozent. Wir sind klatschnass durchgeschwitzt. Vor uns liegt etwas, wofür wir noch keinen Namen haben. Die Einheimischen nennen es „das Loch“, wenn wir das richtig verstehen, aber der Dolmetscher sagte, dieses Wort bedeutet in deren Sprache auch „das Ende“. Sie sind ein kleines Volk von kaum hundert Leuten, friedlich und zurückhaltend. Sie hatten schon Kontakt mit der Zivilisation, aber ihr Dialekt ist eigenwillig. Idixco, der Dolmetscher, hat eine Weile in Quito gelebt. Er sagte, seine Leute würden „das Loch“ meiden. Angeblich wohnt hier das Böse, der Tod. Solche Wörter hat er benutzt. Da sind wir natürlich hellhörig geworden. Vorhin sind wir an einer Art Gestell oder Geflecht aus Ästen und Blättern vorbeigekommen, das die Indios dort aufgestellt haben, offenbar eine Art Altar. Ich nenne es mal so, aber wenn jemand von euch drüben in Arkansas das Ding lieber als ein Gerüst von krummen Ästen bezeichnen möchte, die mit irgendwelchen Pflanzenfasern zusammengebunden sind, würde ich nicht widersprechen.

Idixco hat uns hierher geführt, aber weiter als bis zu dem Altar wollte er nicht gehen, als wäre dort für ihn eine Grenze. Er hatte sichtlich fürchterliche Angst. Wir sind dann ohne ihn weiter gegangen.

Was hier vor uns liegt, ist ein riesiger, finsterer Kessel, ein Loch im Grund des Dschungels. Vielleicht eine Kaverne, deren Decke eingestürzt ist. Ich schätze den Durchmesser des Kessels am oberen Rand auf etwa hundert Meter. Schwer zu sagen. Alles zugewuchert. Hier ist ein steiler Abhang, eine Rampe, die wir gleich hinuntersteigen werden. Unten scheint sich die Grotte zu erweitern, und von dort dringen Geräusche von fließendem Wasser herauf, aber wir können nichts erkennen. So weit reichen unsere Helmlampen nicht. Es ist stockdunkel da unten. Wie ihr seht, ist es schon hier oben, am Rand des Kessels, gerade mal so hell wie in einer Vollmondnacht. Außerdem steigt aus der Grotte Dampf auf. Dort unten scheint es noch wärmer zu sein als hier. Jede Menge Insekten sind unterwegs, in der Luft und am Boden.

Pedro beginnt jetzt mit dem Abstieg. Ich mache mich bereit und befestige die Kamera an meinen Schulterriemen. Sorry, wenn das Bild jetzt ein bisschen wackelt. Jetzt ist Juan an der Reihe. Ich hoffe, er hat die Seile ordentlich gesichert. Sie müssen das Gewicht von drei ausgewachsenen Männern aushalten. Es geht ziemlich tief runter, vielleicht fünfzig oder sechzig Meter, diesen steilen Hang hinab. Pedro hat den Grund des Kessels immer noch nicht erreicht.

Also gut, jetzt bin ich an der Reihe. Ich brauche beide Hände für die Kletterei. Sorry, aber das ist wirklich widerlich anstrengend.

Pedro ist unten angekommen, er leuchtet zu mir herauf. Ich beeile mich. Verflucht dunkel hier unten. Sonnenlicht gelangt nicht bis hierher. Die Helmlampen sind nicht besonders hilfreich. Ich vermute, dass wir uns ungefähr fünfzig Meter unter dem Bodenniveau des Dschungels befinden. In einer Höhle, die sich nach hinten zu weiten scheint. Der Untergrund fällt merklich ab. Wohin, das kann ich noch nicht sehen. Dampf steigt von dort unten auf, wie von Thermalquellen. Verdammt, warum komme ich mir gerade vor wie der erste Mensch, der hier mal nach dem Rechten schaut? Sonderbare Gegend. Seht euch mal diese eigenartigen Gewächse an. So etwas habe ich noch nie gesehen. Erinnert irgendwie an Farne, oder? Aber die Dinger sind total bleich. Kein Blattgrün. Nein, streicht das aus dem Protokoll – ist ja klar, hier unten ist keine Photosynthese möglich. Schau dir das an! Dieser Farnwedel ist fast so groß wie ich. Wovon ernähren sich diese sonderbaren Gewächse – wenn das überhaupt Pflanzen sind? Sie fühlen sich weich an, nachgiebig, aber knorpelig. Und sie sind elastisch. Sie lassen sich nicht abreißen. Ich müsste ein Messer nehmen, um etwas von ihnen abzutrennen, aber …

Juan hat gerufen. Schauen wir mal, was er gefunden hat. Das sind offenbar Knochen. Haufenweise Knochen. Ich … Ganz ruhig, Juan, das sind nur Tierknochen. Das hier zum Beispiel sieht aus wie der Beckenknochen einer Großkatze, eines Jaguars wahrscheinlich. Da liegen auch jede Menge Schädel herum, große und kleine, von verschiedenen Tieren. Aber wenn mich nicht alles täuscht … Das hier ist eindeutig ein menschlicher Schädel. Warum kann ich ihn nicht aufheben? Fuck, was ist das denn? Als ob er mit dem Untergrund verwachsen ist! Da sind überall feine weißliche Fäden zu erkennen, oder Wurzeln, nur dass sie aus dem Grund herauf zu wachsen scheinen. Sie halten die Knochen fest, und sie sind genauso elastisch wie die bleichen Gewächse. Was ist das hier?

Fletcher, hört ihr mich? Ich kriege leider gerade kein Signal von euch … Okay, ich rede einfach weiter. Musste mal Luft holen. Also, Prinzip „Frage und Antwort“. Welche Antworten habe ich auf Fragen, die sich gerade aufdrängen? Sorry, Arkansas, bin ein bisschen durch den Wind. Liegt wohl an der stickigen Luft hier unten. Fragen … Fragen … Also, mir fällt im Moment nur eine einzige Frage ein, auf die ich eine Antwort hätte, und zwar: Wie kommen all diese Knochen hierher? Ich vermute, dass es sich um Überreste von Lebewesen handelt, die in den Kessel gestürzt sind. Diese Fallhöhe steckt selbst eine Raubkatze nicht weg. Aber diese weißlichen Fäden, die an den Knochen haften, die geben mir zu denken. Das erinnert mich entfernt an Epiphyten, an Parasiten. Oder an Pilzgewebe, an Hyphen. Wobei ich noch nie einen derart elastischen Pilz gesehen habe.

Okay, denken wir das mal weiter. Die wesentlichen Teile von Pilzen wachsen unterirdisch, und nur hier und da guckt mal ein Champignon aus der Erde, den wir pflücken können. Hier fällt mir auf, dass überall dort weiße Fäden aus dem Boden wuchern, wo ein Tier abgestürzt ist. Das könnte bedeuten, dass der ganze Untergrund von Pilzgewebe durchwuchert wäre. Vielleicht sind diese komischen Farne da hinten so was wie die Sporenträger dieses Pilzes? Das ist natürlich nur eine Theorie. Zentrale? Fletcher? Hört ihr mich? Es sieht ganz so aus, als ob dieses sonderbare Geflecht die toten Tiere verwertet hat. Vielleicht ernährt es sich vom Fleisch von Tieren, die aus dem Urwald herabstürzen, wie ein Aasfresser, nur dass es ein Pilz ist. Die Natur lässt bekanntlich nichts verkommen. Wir nehmen auf jeden Fall Proben von allem.

Juan macht mich gerade darauf aufmerksam, wie still es hier unten ist. Abgesehen vom Rauschen des Wassers, das irgendwo dort hinten im Dunklen fließt, hört man nichts, keine Affen und keine Vögel. Juan hätte besser den Mund halten sollen. Habe die Stille nicht bemerkt. Na ja, ich rede ja auch die ganze Zeit, aber jetzt beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Überall krabbeln Insekten herum, zum Beispiel diese Ameisen hier, die so lang und dick sind wie ein halber Zeigefinger. Und das hier ist mit Abstand der größte Tausendfüßler, den ich jemals gesehen habe. Arkansas, seht ihr ihn? Fletcher?

Pedro kommt zurück. Er war ein bisschen tiefer in der Grotte, da wo es noch dunkler ist, und hat sich erschreckt, als ihn irgendetwas gestreift hat. Was sagst du? Etwas hat ihn am Hals berührt. Eigentlich haben wir uns alle gründlich eingepackt, denn wir wollen natürlich mit nichts in Kontakt kommen, was wir nicht kennen, aber wir tragen keine Raumanzüge. Guck dir das an. Pedro hat eine rötliche Strieme am Hals. Die Wunde ist nur oberflächlich und nicht länger als vier oder fünf Zentimeter. Hier, ich mache eine Nahaufnahme. Sieht ein bisschen aus wie ein Kratzer von einer Dorne. Pedro, wie fühlst du dich? Alles in Ordnung? Okay, Leute, dann lasst uns unsere Arbeit machen. Proben nehmen, von allem hier. Vom Boden, von den Farnen, den Knochen und diesen eigenartigen Wurzeln. Und dann schnell weg. Ich glaube, nach diesem Trip habe ich erst mal die Schnauze voll vom Dschungel. Dieser Kessel ist wirklich ein beklemmender Ort. Ich will wieder rauf ans Licht, Leute. Also los, macht die Becher voll, und dann nichts wie weg von hier.

Irgendetwas ist mit Pedro. Er ist kreideweiß und gibt sonderbare Laute von sich. Nein, es ist sein Bauch, der diese Geräusche macht. Pedro, was ist los? Sag was! Nein, lass die Atemmaske, wo sie ist. Was soll der Mist? Er nimmt die Atemmaske ab. Pedro, die Regeln … He Mann, pass auf! Jetzt hat er uns vor die Füße gekotzt. Das hab ich wirklich noch gebraucht. Was ist das – eine Vergiftung? Jedenfalls nicht einfach ein verdorbener Magen. Juan, Abstand halten! Pedro, bleib wo du bist! Scheiße, er kommt uns hinterher, ihr seht es ja selbst. Er scheint fürchterliche Angst zu haben. Er schwankt, presst sich die Hände auf den Bauch. Als ob er Schmerzen hat. Jetzt versucht er, etwas zu sagen, aber das einzige, was aus seinem Mund kommt, ist Kotze. Blutige Kotze! Verdammt, was ist das? Er bricht zusammen. Aber wir können doch nicht … Wir können nichts tun! Irgendetwas hat ihn erwischt. Er kotzt schon wieder, Blut mit irgendwelchen Fetzen drin. Es läuft ihm einfach so aus dem Mund.

Juan, los, weg von hier! Bevor es auch uns erwischt. Vielleicht kommt es von den Farnen. Juan, wir können Pedro nicht helfen. Verdammt, mach doch, was du willst! Wo ist das Seil … Ich muss raus hier! Wäre ich doch bloß nie … Juan, komm endlich! Juan! Was ist denn los? Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Pause. Wir müssen hier weg! Keine Diskussion jetzt. Da vorn sind die Seile. Oben sind wir in Sicherheit. Raus aus diesem verfluchten Loch, schnell. Was für eine Scheiße! Wie konnte ich mich nur auf diesen Job einlassen! Wie weit ist es denn noch bis oben! Juan ist hinter mir zurückgeblieben. Er klammert sich am Seil fest, aber jetzt … jetzt muss er sich übergeben. Er verliert den Halt und stürzt ab, er…

Dem Himmel sei Dank! Was für eine fürchterliche Gegend! Ich muss erst einmal etwas trinken. Mir ist ein wenig übel von der Anstrengung. Das war reif für Olympia. Verflucht, was für eine Scheiße. Zentrale, wir brauchen hier ein Rettungsteam. Ich höre nichts mehr von Pedro und Juan. Sie sind im Kessel zurückgeblieben. Ich konnte nichts für sie tun. Keine Ahnung, auf was für ein Teufelszeug wir da gestoßen sind, aber wenn ihr mich fragt, sollte man diese ganze beschissene Grotte einfach zuschütten. Ich genehmige mir jetzt erst mal einen Schluck aus meiner Notreserve. Mir ist schlecht. Der Whisky wird mir guttun. Der räumt den Magen auf, der … Verflucht, jetzt habe ich das gute Zeug gleich wieder rausgek… Ich … Fletcher … Was ist das für ein Gerumpel in meinem … Au, verdammt, das tut … Zentrale … Hilfe …“

Ende der Leseprobe

Das Erscheinen von Incubus — Virenkrieg III ist für 2019 (gedrucktes Buch) angedacht.

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