Leseprobe: Genetics

Genetics ist ein SciFi-Thriller, der erstmals im Jahr 1999 als Buch veröffentlicht wurde. Im Jahr 2013 brachte Autor Lutz Büge ihn als Selfpublisher unabhängig von Verlagen runderneuert auf den Ebook-Markt. Der Roman erschien ursprünglich in vier Teilen. Inzwischen ist eine Komplettversion als Ebook erhältlich, die mit diesen vier Teilen inhaltlich identisch ist. Genetics hängt mit dem aktuellen Virenkrieg-Zyklus von Lutz Büge zusammen. Dieser Zyklus kann als Prequel zu Genetics gelesen werden. Eine Fortsetzung des Romans steht in den Sternen

Ybersinn.de veröffentlicht hier Vorspann und Prolog des Ebooks!

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Leseprobe: Genetics

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Vorspann

Block Arkansas ist das Projekt einer Zeit, die sich des Terrors nicht anders zu erwehren wusste, als indem sie selbst zu den Mitteln des Terrors griff.
Projektiert wurde Block Arkansas im Jahr 2017 kurz nach der Wahl der Republikanerin Lindsay Preston zur US-Präsidentin. Die Bauarbeiten begannen noch im selben Jahr unter äußerster Geheimhaltung und wurden 2023 nach der Wiederwahl der Präsidentin auf dem neuesten Stand der Technik abgeschlossen. Kurz darauf wurde Block Arkansas in Betrieb genommen. Das Projekt war „above top secret“ – für die nationale Sicherheit von allerhöchster Bedeutung – und hatte damit in den Augen seiner Befürworter eine Wertigkeit, die selbst das legendäre Manhattan Project übertraf, das die Entwicklung der Atombombe zum Ziel hatte. Die immensen Baukosten von rund 500 Milliarden Dollar wurden aus halb- bis inoffiziellen Quellen bestritten, von geheimen Töpfen der CIA und NSA über schwarze Fonds des militärisch-industriellen Komplexes der USA bis hin zu Geldern der Loge, die in Steueroasen geparkt waren. Allein die Loge soll die Hälfte der Baukosten beigesteuert haben.
Im Namen des Patriotismus waren die Initiatoren des Projekts zu allem fähig, wie ich am eigenen Leib erfahren musste. Das Äußerste war ihnen noch zu wenig. Doch sie konnten die zweifelhaften Früchte von Projekt Block Arkansas nicht mehr ernten.“

Auszug aus dem
Tagebuch einer Mutter

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Prolog

331 konnte nicht mehr. Noch nie in ihrem Leben war sie so weit gelaufen. Im Frauensektor wurde das nicht verlangt. Es gab zwar Sport-Programme, und Ciah forderte die Frauen regelmäßig auf, sich zu ertüchtigen, aber verpflichtend war nur das Gymnastik-Grundseminar.

331 stolperte mehr vorwärts, als dass sie lief, die Luft ging ihr aus und sie hatte fürchterliches Seitenstechen.

Wenn sie nur begreifen würde, was mit ihr vorging! Doch als Jak, der neben ihr lief, vorhin voller Angst geflüstert hatte: „Polizei!“, da hatte sich sein Entsetzen auf sie übertragen, und er hatte sie mitgerissen. Sie wusste, dass es nicht in Ordnung war, was sie tat, aber dieses Entsetzen, diese Panik …

Ohne sie wäre er viel schneller. In ihm steckte eine unerhörte Kraft. Er hatte sogar einen Namen, er hieß Jak, während sie in Verkürzung ihrer Seriennummer nur 331 genannt wurde; die volle Nummer lautete 2155-B2/331.

Wenn ihr gestern Morgen vorausgesagt worden wäre, dass sie in Kürze mit einem Mann weglaufen würde, ohne auch nur die geringste Angst vor ihm zu haben – sie hätte Diejenige nicht einmal ausgelacht oder verhöhnt, sondern hätte sie kopfschüttelnd stehenlassen. Gestern Morgen war sie noch beinahe starr vor Angst gewesen, nachdem Ciah ihr zum ersten Mal den Befehl erteilt hatte, den alle Frauen im Frauensektor fürchteten: den Befehl, einen Mann zu empfangen und ihre Pflicht zur Artverbesserung zu tun. Darüber kursierten die schlimmsten Berichte unter den Frauen.

Doch dann war sie vom ersten Moment an von ihm fasziniert gewesen, von seiner Größe, seiner Kraft, seiner Haut. Er hatte denselben Hauttyp wie sie: straff, kühl, bronzefarben, sogar leicht irisierend. Er saß auf einem Stuhl, als 331 hereingebracht wurde und war komplett nackt. Ihr Blick fiel gleich auf dieses Ding zwischen seinen Beinen, über das sie so viel Schlimmes gehört hatte, und sie weinte. Doch dann ließ man sie allein, und er schien keine Ahnung zu haben, wie es nun weitergehen sollte. Er war kaum älter als sie. Verlegen musterte er sie mit unschlüssigen Blicken aus seinen auffallend grünen Augen.

„Wir müssen die Artverbesserung voranbringen“, sagte sie zwischen mehreren Schluchzern, nur damit etwas gesagt war; eigentlich war sie viel zu befangen, aber das Schweigen quälte sie. „Ich soll dein Kind empfangen, hat Ciah gesagt.“

„Ich weiß“, sagte er und räusperte sich; seine Stimme klang belegt.

„Magst du nicht?“

„Ich habe eine Aufgabe und werde sie erledigen“, antwortete er, „aber es kommt mir plötzlich … falsch vor.“

„Falsch?“

„Wie heißt du?“

Sie nannte ihm ihre Nummer, und er sagte:

„Ich nenne dich Dee.“

Dann stand er plötzlich auf und zog sie an sich, und was dann folgte, war ein Wirbelsturm, der Dees bisheriges Leben hinwegfegte – dieses Leben im Frauensektor, wo die Angst vor den Männern herrschte. Ja, er fügte ihr den Schmerz zu, von dem die Frauen redeten, doch dabei sah er sie mit seinen grünen Augen an, die von tief innen zu leuchten schienen, und drang mit Blicken noch viel tiefer in sie ein als mit seinem Ding. Seine Hände glitten über ihren Körper, sie spüre sich selbst wie noch nie zuvor, und plötzlich wurde ihr hell. Da berührte sie ihn, betastete seine Haut, seine Muskeln, kniff und kratzte ihn, und sein Ding in ihr tat nicht mehr weh. Es kam sogar dazu, dass sich ihre Lippen begegneten, obwohl Ciah ihnen eingeschärft hatte, Lippenkontakt unbedingt zu vermeiden. Dabei konnten schwerwiegende Krankheiten übertragen werden. Doch ihre Lippen suchten und fanden sich in all dem Wirbel, und es war völlig unbegreiflich, wie schön, wie unendlich schön das war. Die Angst, die Frauen, selbst Ciahs Stimme blieben in diesen Sekunden weit, weit hinter Dee zurück, und sie riss die Augen auf und sah in seine Augen, als er seine Pflicht tat und sich ergoss.

„Für die Artverbesserung“, keuchte er über ihr, denn das sollte man so sagen, und Dee wiederholte den Satz, ebenfalls keuchend. Doch dann flüsterte er ihr ins Ohr:

„Ich will nur noch dich!“

Er war 16 Jahre alt, ein Jahr älter als sie, und es war das erste Mal für ihn gewesen, genau wie für sie.

Sie hatte ihn ungläubig angesehen. Gewollt zu werden! Nicht nur toleriert zu sein, weil man nun mal eben vorhanden war und weil es ohne Frauen angeblich noch immer nicht ging, sondern gewollt zu werden um ihrer selbst willen!

Als sie getrennt wurden, hatte er ihr flüsternd einen Ort genannt, an dem sie sich morgen – heute – treffen sollten. Das war nicht einfach für 331, denn dieser Treffpunkt lag außerhalb des Frauensektors. Sie musste durch einen der beiden Verbindungskorridore hinüber nach Block Arkansas, und das war bestimmt nicht möglich, ohne entdeckt zu werden. Zudem war es den Frauen zwar nicht direkt verboten, ihren Sektor zu verlassen, aber es kursierten fürchterliche Geschichten darüber, was Frauen widerfahren war, die es versucht hatten. Die Männer, die drüben in Block Arkansas lebten, waren in Scharen über sie hergefallen und hatten sie vergewaltigt, und damit war eine Frau für Ciah und die Artverbesserung unbrauchbar.

Es war nur dann im Sinne der Artverbesserung, einen Mann wiederzutreffen, wenn die Eizelle beim ersten Versuch nicht befruchtet worden war, obwohl Ciah bestimmt hatte, dass die genetischen Linien gekreuzt werden sollten. Trotzdem ging 331 hinüber nach Block Arkansas, ihrer inneren Stimme gehorchend. Sie konnte nicht anders. Niemand hielt sie auf. Die Türen öffneten sich vor und schlossen sich hinter ihr, ohne dass es Alarm gab. Sie gelangte unversehrt hinüber und fand den Treffpunkt sofort, und dann drückte sie sich zu Jak in die dunkle Nische und gab sich einfach dem Gefühl hin, für das es keinen Namen gab, als er sie umarmte und sie erneut küsste. Bis Jak plötzlich entsetzt hauchte:

„Polizei!“

Doch er bekam sich sofort wieder in den Griff.

„Ich wusste es“, murmelte er. „Zieh deine Schuhe aus.“

331 war tief eingetaucht in den Wirbel des Gefühls; sie hörte zwar die eiligen Schritte in der Ferne, die in den Korridoren hallten, verstand aber nicht, was die mit ihr zu tun haben sollten. Dennoch folgte sie dem Befehl und zog die Schuhe aus, und im nächsten Moment schon lief sie auf nackten, leisen Fußsohlen neben ihm davon.

Selbst jetzt noch, auf der Flucht, konnte sie dieses Gefühl nicht begreifen. So entsetzlich und zugleich so schön! Es wies weit über alles hinaus, was sie jemals für möglich gehalten hätte, so weit, dass es nicht einmal ein Wort dafür gab. Mit einer urgewaltigen Kraft riss es sie fort in ein fernes, unbestimmtes Leben. Von hier aus, wo sie jetzt war, schien ihr die Vergangenheit in eine einzige große Dämmerung getaucht, während vor ihr nichts als klare Helligkeit lag. Sie musste nur Jak in die Augen blicken, um diese Helligkeit zu finden.

Ihr Körper war längst erschöpft von den Anstrengungen der Flucht, doch sie, als sei sie ein völlig von ihrem Körper getrenntes Wesen, merkte das kaum. Es geschah neben ihr her, dass er keuchte und torkelte, während sie hoch aufgerichtet zu laufen meinte, genau wie Jak. Doch dann konnte ihr Körper endgültig nicht mehr. Für sie war es wie ein Erwachen, als sie mit der Schulter schmerzhaft gegen eine Stahlrippe prallte, die von der Wand vorsprang. Sie taumelte und wäre beinahe gefallen. Jak fing sie auf, zog sie in die Deckung der Rippe und drückte sie im tiefen Schatten an die kühle, stählerne Wand.

„Ruhig!“ flüsterte er. „Leise! Die Polizei hat Geräte. Sie hört uns!“

Ihr war entsetzlich schwindlig, aber sie verstand, was er sagte, und bemühte sich, ihr Keuchen zu unterdrücken und ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen.

„Ich … kann nicht mehr“, brachte sie mühsam hervor.

Sie befanden sich in einem staubigen, leeren Korridor irgendwo in der Peripherie von Block Arkansas. Zu beiden Seiten führte der Gang in tiefe Dämmerung; hier draußen brannte nur jede dritte Lampe. Die nächsten Gangkreuzungen rechts und links waren gerade noch zu erkennen, dahinter nichts mehr. Ein paar Türen in der Nähe, Stille bis auf die allgegenwärtigen, gedämpften Arbeitsgeräusche der schweren Maschinen der untersten Ebene. Keine Anzeichen dafür, dass da noch jemand war.

„Sind sie weg?“ fragte Dee alias 331.

Jak schüttelte den Kopf. Dann wies er auf die nächste Tür.

„Verstecken wir uns!“

Er setzte über den Gang, betätigte den Öffnungssensor und winkte ihr, als die Tür offenstand. Wankend folgte sie ihm. Als sie beide in der staubigen, leeren Kammer waren, verschloss er die Tür wieder. Normalerweise hätte sich das Licht automatisch einschalten müssen, aber hier draußen funktionierte offenbar nicht mehr alles, wie es sollte. Nur der Öffnungssensor glühte dunkelrot, ein winziger Fixpunkt, einsam in der scheinbaren Weite der Finsternis, die sie ummantelte.

„Wo bist du?“ fragte sie.

Doch statt einer Antwort spürte sie, wie Jaks Hand sie berührte. Sie tastete ebenfalls in die Dunkelheit hinaus, fand ihn, schlang ihre Arme um seine Hüften und drückte sich an ihn. Verwundert spürte sie seine Erregung. Hatte er denn keine Angst? Und schon zerrte er mit einer Hand am Reißverschluss ihres Overalls, packte sie fest mit der anderen und presste seine Lippen auf die ihren. Er wollte wieder mit ihr zusammensein, so wie gestern.

Sie wollte es ebenfalls. Sie hatte keine Angst mehr davor. Was die Frauen ihr einzureden versucht hatten – Blödsinn! Angst? Lächerlich! Was zählte das in einem Moment wie diesem, wo es nur das Hier und Jetzt gab, diesen Wirbel und diese Erregung?

Sie half ihm mit zittrigen Griffen und befreite sich von ihrer Kleidung. Gleich darauf warf er sie zu Boden. Vor Schreck ließ sie einen leisen Schrei fahren. Fassungslos registrierte sie die Helligkeit, die sie übergangslos erfasste, als sie sich küssten. Fast war es, als sähe sie wirklich. Doch in dieser Helligkeit gab es keine Konturen und keine Formen, sondern nur eine Steigerung: Dort, wohin sie blickte, war es heller als hier, wo sie jetzt noch war. Und sie war auf dem Weg dorthin, zusammen mit Jak.

Es war nicht schmerzhaft wie beim ersten Mal, es war ein fließender Übergang in eine andere Welt. Warme Wellen überrieselten sie, und als sie ihn schluchzen hörte, wurden ihre Augen nass, und sie musste weinen. Er zitterte; sie fühlte es an seinen Armen, die sie mit ihren Händen umklammert hielt. Wie er sich anspannte! Wie alles anders wurde, wie sich aus diesem Moment heraus eine neue Zukunft formte und wie nichts mehr so sein würde wie früher. Welche Gewalt!

Da flog die Tür auf. Ein Schatten, ein Umriss erschien vor dem helleren Hintergrund des Korridors dort draußen, eine Gestalt mit unförmigem Kopf, die einen langgestreckten Gegenstand auf Jaks Rücken richtete. Er sah die Gestalt nicht, aber dass es in der Kammer hell wurde, konnte ihm nicht entgehen. Doch er schloss nur die Augen. Dies war sein Moment. Was danach kam – egal. Sie spürte, wie er in ihr zuckte, und sie hörte sein Stöhnen, als er sich entlud.

„Dee!“, stöhnte er.

Donner, ein Lichtblitz. Jak seufzte tief auf. In seinem Brustkorb brodelte es, aber er hielt sich auf seinen Armen, noch zuckte er in ihr. Ein zweiter Donner, und sein Kopf flog weg. Eine warme Masse spritzte durch die Kammer, in hohem Bogen sprudelte heißes Blut aus seinem Halsstumpf über Dee alias 331 hinweg, und nun brach der Rumpf über ihr zusammen, der schwere Körper begrub sie unter sich.

Zwei Männer stürzten hinter dem Schatten hervor in die Abstellkammer, wälzten Jaks Körper zur Seite, packten Dee alias 331 an den Armen und zerrten sie hinaus. Der Gang draußen, das Licht, die Männer, alles war rot von Blut, und ihr Gesicht war heiß.

„Nutte!“ zischte jemand neben ihrem Ohr. Ihr wurde etwas in den Mund gestopft, und sie dachte: Ja, ich will ersticken! Aber es sollte nur verhindern, dass sie schrie. Ein Stich an ihrem Hals, ein Zischen; einer der Männer hatte ihr ein Mittel injiziert, während der andere ihre Vagina untersuchte.

„Verunreinigt“, sagte er. „Ciah wird dich neutralisieren.“

Das alles berührte sie kaum. Hauptsache, sie spürte Jak noch, den Nachklang seines Zuckens, seinen Geruch. Sie beobachtete den dritten Polizisten, der mit dem Gewehr in der Hand vor der offenen Tür der Kammer stand und immer noch hineinblickte. Er trug einen Anzug, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Das Visier seines Helmes war hochgeklappt, so dass sie sein unbewegtes Gesicht sehen konnte, als er Jaks Leichnam betrachtete. Sie hörte noch, wie er den Geruch einsog, der in der Kammer lag, dann wurde ihr übergangslos schwindlig, und alles um sie her versank in einem flimmernden Nebel. Das letzte, was sie sah, war der Blick des Schützen, der kalt auf ihr lag.

Doch sie konnten ihr nichts, denn sie hatte jetzt einen Namen. Den Namen, den Jak ihr gegeben hatte.

Dee.

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