Die Dankbarkeit einer Witwe

Jetzt wird aufgeräumt!
Was sich über Jahrzehnte in unseren Regalen und Schubladen,
in Kellern und Abseiten angesammelt hat, soll endlich weg.
Doch mit vielem verbinden sich Erinnerungen.
Die wollen wir natürlich nicht wegwerfen.
Die Bilderserie Aufräumen dokumentiert diese Erinnerungen
als Geschichten mitten aus dem Leben.

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Die Dankbarkeit einer Witwe

Von Edith Matejka

Eine Steuerforderung für die Zeit von 2005 bis 2015 mit Pfändungsandrohung des og. Finanzamtes gegen eine alte Dame in Limoges ist der Grund, dass ich im Besitz dieser Spruchtafel bin. Sie ist eine der Bezeugungen von Dankbarkeit, die sie mir im Laufe unserer Begegnungen zwischen 2015 und 2018 machte.

Ihre kleine Witwenrente aus Deutschland war jahrelang mit ihrer ebenfalls mickrigen heimischen Rente in Frankreich steuerlich veranschlagt worden, bis 2005 ein Ministerialer die bilateralen Steuerabkommen reformierte und beschloss, dass die Versteuerung nun in Deutschland zu geschehen habe. Dadurch und das mangelnde Verständnis der finanzbehördendeutschen Sprache kam die lebenslang redliche Huguette S., die damals 90 Jahre alt war, in eine Bredouille, die ihr Schlaf und Lebensfreude raubte. Drei Jahre hat es gebraucht, die Situation mit dem verständnisvollen Entgegenkommen des Finanzamtes zu bereinigen. Dazu waren viele Besuche bei ihr notwendig, Aktenordner wurden durchgeblättert, Belege gesucht usw. und viele Lebenserinnerungen wurden bei ihr wach und mir erzählt.  Übrigens gilt seit 2015 ein neues bilaterales Steuerabkommen, das die alte viel einfachere Situation wieder hergestellt hat.

Die Spruchtafel hatte ihrem geliebten Mann Horst gehört. Das H und das R konnte sie als Französin nicht aussprechen, deshalb nannte sie ihn zärtlich „Ostel“. Wie man sich denken kann, war er Landschaftsgärtner und trank gerne viel Bier, aber ohne je betrunken zu sein. Nicht so wie der erste Mann von Huguette, mit dem sie eine Kneipe in Le Havre geführt hat, ein richtiger Tagedieb, Nichtsnutz, Schürzenjäger und Streithahn, von dem sie sich alsbald scheiden ließ, nachdem ihr Ostel  beim traditionellen Ball anlässlich des Nationalfeiertags am 13. Juli 1960 einen Heiratsantrag gemacht hatte, den er am 14. Juli wiederholte. Ostel kam aus Düsseldorf, war zur Pflege der deutschen Kriegsgräber in der Normandie und hatte sich unsterblich in die hübsche Huguette verliebt, sie damals 32, er 27. Er wollte keine deutsche Frau heiraten, das Beispiel seiner dominanten Schwestern und ihrer duckmäuserischen Ehemänner, die sich klaglos beim kleinsten Vergehen ohrfeigen ließen, hatte ihn dauerhaft abgeschreckt.

Huguettes Vater, den sie liebte und verehrte, war als engagierter Widerstandskämpfer und Freimaurer von dieser Verbindung  nicht begeistert. Trotzdem respektierte er den Willen Huguettes und begleitete seine Tochter nach Düsseldorf, wo die Ehe geschlossen wurde. Gegen alle Erwartung fühlte er sich dort sehr wohl und machte einen Schritt auf seine früheren Feinde zu. Die Mutter qar damals schon zu krank, um die schönen Reisen nach Passau und den Königssee mitzumachen.

Ostels Familie, allen voran Schwiegermutter „Mutti“, war sehr gastfreundlich. Huguette war beeindruckt von ihr, und die beiden verstehen sich auf Anhieb. Die Verständigung klappt dank Händen und Füßen und dem umwerfenden Charme von Huguette. Der Kontakt zu den arroganten Schwägerinnen ist eher eisig und verbessert sich auch während der zahlreichen Gegenbesuche in der Normandie nicht wesentlich.

Fortsetzung folgt.

Edith Matejka, geboren 1953 in Karlsruhe, hat zwei Söhne und fünf Enkelkinder und lebt mit ihrem Mann Guy, einem emeritierten Chemie-Professor, im südwestfranzösischen Limoges. Nach dem Abitur in Karlsruhe studierte sie in Freiburg Romanistik und Germanistik. 1974 ging sie für vier Jahre nach Marokko, danach für zwölf Jahre nach Togo. Ab 1990 arbeitet sie als Sprachlehrerin in Limoges. Edith war unter anderem für die Industrie- und Handelskammer und die Universität  Limoges tätig,  ist jetzt als Übersetzerin und vereidigte Dolmetscherin aktiv und engagiert sich für die Weiterbildung und Wahrnehmung der Interessen ihrer Berufskollegen.

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