Natürliche und unnatürliche Mumien

Menschen kriegen Kinder, Autoren kriegen Romane. Das soll nun nicht heißen, dass Autoren keine Menschen wären. Aber ihre Romane sind jedenfalls keine Kinder. Nicht im biologischen Sinn. Man kann jedoch bildhaft sagen: Die Romane wachsen beim Schreiben heran und bereiten dabei ebenso Probleme wie schöne Momente. Und wenn ein Roman geschrieben ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem der Autor ihn loslassen und in die Welt entlassen muss. Sieben Mal habe ich diesen Prozess in den vergangenen fünf Jahren durchlebt, und manches meiner Babys ist ziemlich böse geworden.

Dafür gab ich mein Bestes.

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Natürliche und unnatürliche Mumien

Zoff mit Lektoren ist selten angenehm. Da freut sich die geschundene Autorenseele, wenn sie mal einen kleinen Sieg davonträgt. Folgende Textpassage aus meinem Roman Der Osiris-Punkt stand in der Kritik. Redner ist ein Mensch namens Ahmed Nur ed-Din.

„Wenn Ihre Körper überhaupt jemals gefunden werden, in einigen hundert Jahren vielleicht, wird man sie für Ägypter halten und sich bestenfalls über ihren hochgewachsenen Körperbau wundern. Ansonsten werden sie von natürlichen Mumien nicht zu unterscheiden sein. Die Wüste ist in dieser Hinsicht leider erbarmungslos.“

Man ahnt es vielleicht: Gewalt liegt in der Luft. Zwei der Hauptfiguren wurden soeben gefangengenommen, und nun plant der Bösewicht Übles mit ihnen. Dazu machte der Lektor damals folgende Anmerkung: Mumien seien niemals natürlich.

Und was ist mit Ötzi?

Etwas Ähnliches wie mit Ötzi passiert mit Leichen, die in der Wüste bestattet werden: Sie trocknen aus. Ganz einfach. Völlig natürlich. Absolut normal. In der Naqada-Kultur zum Beispiel, die von 4500 bis 3000 vor Christus dem pharaonischen Ägypten voranging, war das ein gängiger Bestattungsritus: Grube im Sand, Leiche rein, Grabbeigaben ebenfalls, alles gut abdecken und trocknen lassen. Die Mumien, die so entstanden, sind rein optisch teilweise in einem weit besseren Zustand als die Mumien der Pharaonen, die in einem aufwändigen Verfahren mumifiziert wurden.

Eine gute Gelegenheit, die heimliche Hauptfigur aus Der Osiris-Punkt vorzustellen: Tusch für Pharao Sethos I.! Was für ein Charakterkopf!

Das Foto machte der deutsche Ägyptologe Emil Brugsch im Jahr 1889. Sein Bruder Heinrich fand die Mumie 1881 in einem Mumien-Sammelgrab unweit des Tals der Könige, in dem sie wohl vor Grabräubern in Sicherheit gebracht worden war. Ein gutes Beispiel für eine unnatürliche Mumie. Das beste Beispiel sogar, denn die Sethos-Mumie gilt als die am besten erhaltene eines Pharaos überhaupt.

Solche Mumien entstanden in äußerst appetitlichen Herstellungsprozessen. Von wegen einfach in der Wüste bestatten, und zack. Nein, die königlichen Herrschaften wurden aufwändig für das Leben im Jenseits vorbereitet, etwa indem man ihr Gehirn durch die Nase aus dem Schädel zog. Wollen wir mal nicht zu sehr ins Detail gehen.

Aber dieses Mumifizierungsverfahren hat gegenüber dem natürlichen Verfahren einen bedeutenden Vorteil: Weil dabei Massen von Harzen eingesetzt wurden, ist die DNA, die Erbsubstanz dieser Mumien, teilweise konserviert worden. Und das ist natürlich wunderbar für heutige Genetiker, die dabei helfen können, die verschlungenen dynastischen Beziehungen der Mumien mit Hilfe ihrer Erbsubstanz zu klären.

Dies hier rechts ist der Kopf der Mumie von Ramses II., dem Sohn von Sethos I. (Nebenbei: Der Zustand der Mumie erklärt sich auch aus dem unterschiedlichen Alter. Ramses wurde starb mit 90 Jahren, sein Vater wurde nur halb so alt.) Die Genetiker konnten bestätigen, dass die Mumien Vater und Sohn gehören. Aber so einfach ist es nicht immer. Vor allem in jenen Fällen nicht, in denen man die Mumien quasi nackt fand, also ohne all die Amulette und Schmuckstücke, die ansonsten zwischen den Binden steckten und die häufig mit Namenskartuschen versehen waren: unbeschriftete Mumien. Da wird es eigentlich erst richtig spannend, was die Genealogie betrifft.

Und wie ging der Streit um die „natürlichen Mumien“ aus?

Eigentlich wie immer: Autor lenkt ein und ändert die Passage, um alle Unklarheiten zu beseitigen. In der Endfassung heißt sie nun:

„Wenn Ihre Körper überhaupt jemals gefunden werden, in einigen hundert Jahren vielleicht, wird man sie für Ägypter halten und sich bestenfalls über ihren hochgewachsenen Körperbau und das sonderbare Loch in Ihrem Schädel wundern. Ansonsten werden sie von gewöhnlichen Trockenmumien nicht zu unterscheiden sein. Die Wüste ist in dieser Hinsicht leider erbarmungslos.“

Arme Serafina! Armer Bill!

Nachzulesen in Der Osiris-Punkt. Heute, am 8. März vor vier Jahren, also 2014, erschien die Komplettversion meines Romans, der immer noch als E-Book im Handel ist. Und da kommt noch mehr, denn der Amduat-Zyklus, dessen erster Roman Der Oisirs-Punkt ist, ist noch lange nicht fertig.

PS: Dieser Artikel erschien erstmals am 6. Dezember 2012 hier auf Ybersinn.de. Für die Neuveröffentlichung wurde er leicht überarbeitet.

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