Die ungewöhnlichste Reise meines Lebens (3)

Menschen kriegen Kinder, Autoren kriegen Romane. Das soll nun nicht heißen, dass Autoren keine Menschen wären. Aber ihre Romane sind jedenfalls keine Kinder. Nicht im biologischen Sinn. Man kann jedoch bildhaft sagen: Die Romane wachsen beim Schreiben heran und bereiten dabei ebenso Probleme wie schöne Momente. Und wenn ein Roman geschrieben ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem der Autor ihn loslassen und in die Welt entlassen muss. Sieben Mal habe ich diesen Prozess in den vergangenen fünf Jahren durchlebt, und manches meiner Babys ist ziemlich böse geworden.

Dafür gab ich mein Bestes.

Größere Ansicht

 

Das Massaker am Hatschepsut-Tempel
oder
Die ungewöhnlichste Reise meines Lebens (3)

(Anmerkung vorab: Dieser Reisebericht erschien erstmals am 8. Februar 2013 auf Ybersinn.de. Er wurde für diese Neuveröffentlichung ganz leicht überarbeitet. Und hier kommt noch der Link zum ersten Teil dieses Reiseberichts.)

Was meine beiden Reisebegleiter und ich im Frühjahr 1998, als wir mit der Feluke „Canada“ von Assuan nach Luxor durch Oberägypten segelten, nicht wussten, war Folgendes: Es war das erste Mal nach dem Massaker am Hatschepsut-Tempel,  dass unser Reiseveranstalter es wagte, die Feluken-Tour wieder anzubieten. Wir waren also eine Art Testkaninchen, aber das erfuhren wir erst am Ende der Reise. Man wollte uns nicht beunruhigen, war sich aber andererseits offenbar sicher genug, es wieder wagen zu können. Das entsprach im Prinzip unserer eigenen Einstellung, denn wir hatten ja gewusst, dass es das Massaker gegeben hatte, und hatten uns trotzdem zu dieser Reise entschieden. Nein, nicht trotzdem, sondern deswegen! Wenn Ägypten, so das Kalkül, jemals ein sicheres Reiseland war, dann unmittelbar nach dem Massaker — denn die ägyptische Staatsmacht würde alles tun, um Sicherheit herzustellen. Und so war es auch.

Das ist der weltberyhmte Terrassentempel der Pharaonin Hatschepsut, so wie wir ihn im Frühjahr 1998 fotografiert haben, etwa ein Vierteljahr nach dem Massaker. Eigentlich war es ja sogar noch Winter, kalendarisch gesehen, denn wir waren Ende Februar dort. Man sieht, dass Menschen unterwegs sind. Man sieht auch die gewaltige Felswand, die über dem Tempel aufsteigt und hinter der das Tal der Könige liegt. Um es kurz zu sagen: Dieser Tempel und die Art, wie er sich in die Landschaft einfygt, haben mich schwer beeindruckt, und es war nicht das einzige Mal während dieser Ägypten-Reise, dass ich darüber staunte, was vor 3500 Jahren bereits alles möglich war — technisch, künstlerisch, überhaupt.

Der Totentempel der Hatschepsut liegt in Deir el-Bahari, einem Areal in der Wyste am Westufer des Nils, wo viele Herrscher des Neuen Reichs ihre Totentempel bauten. Und hier war es am Morgen des 17. November 1997, dass eine Gruppe von sechs Terroristen der Gruppe Gamaa al Islamiyyaa (Wikipedia-Link) den Tempel stürmte. Sie hatten halbautomatische Waffen und Messer und ermordeten 68 Menschen, die gerade auf der zweiten Terrasse des Tempels waren. Die meisten davon waren Schweizer, aber es befanden sich auch vier Ägypter und vier Deutsche unter den Toten. Weitere 26 Menschen wurden verwundet, darunter neun Ägypter.

An jenem Morgen, berichtete die „Zeit“, seien sämtliche Monumente Luxors — und das sind viele! — von gerade einmal „35 Beamten der lokalen Touristenpolizei überwacht“ worden. Aus heutiger Sicht ein fürchterliches Versäumnis. Es seien dann auch nicht Polizisten gewesen, die die Terroristen verfolgt hätten, sondern Einheimische: Mehr als 300 Männer und Frauen aus den Dörfern bei Luxor hätten die Terroristen gejagt und die verspätet anrückende Polizei auf ihren Schlupfwinkel aufmerksam gemacht. Die Angreifer wurden getötet oder begingen Selbstmord. Dieses Attentat führte dazu, dass der Tourismus in der Region zunächst zusammenbrach.

Hatschepsut als Osiris.
Kolossalstatue am Eingang
zum Allterheiligsten

Viele Menschen in Luxor und Umgebung verloren damals ihre Arbeit. Für das Attentat hatten sie nicht das geringste Verständnis: Die Terroristen seien keine Muslime, sondern niederträchtige Verbrecher — Worte, die man immer wieder hört, wenn es um Islamisten geht. Es ist diese anti-zivilisatorische Attityde der Islamisten, dieses unbedingte, völlig von sich überzeugte „Wir sind im Recht!“, das eine argumentative Auseinandersetzung mit ihnen unmöglich macht. Menschenrechte interessieren sie nicht. Sie berufen sich auf isolierte Koran-Suren, die von ihren Hetzpredigern einseitig ausgelegt werden und aus denen sie zum Beispiel das Recht ableiten, „Ungläubige“ töten zu dürfen. Das ist in Mali passiert, es ist am 11. September 2001 passiert — und davor ist es am Tempel der Hatschepsut in Deir el-Bahari bei Luxor passiert. Und die einfachen Menschen, Landsleute der Terroristen, litten schwer darunter.

Einer dieser einfachen Ägypter war Nadi, der Kapitän der Feluke „Canada“ — und als solcher litt auch er darunter, dass die Touristen nach dem Massaker zunächst fernblieben, denn er war von den Einkünften aus den Segeltörns abhängig. Er zeigte uns sein Ägypten — eine Sympathie-Offensive, die, um das ehrlich zuzugeben, gewirkt hat.

Kapitän Nadi zeigt uns sein Haus. In der ersten Nacht nach unserem Start von Assuan ankerten wir nämlich bei seinem Dorf, einem Fleckchen Ägypten, das sicher zu sein versprach, wie Hassan, der Reiseleiter, uns später offenlegte. Tatsächlich geschah uns weder in dieser ersten Nacht noch während des Rests der Reise etwas. Nadi führte uns durchs Dorf, machte uns mit dem Ortsversteher bekannt, verscheuchte die unzähligen Kinder, die uns umschwirrten (und mit Kugelschreibern beschenkt wurden, mit denen wir uns reichlich eingedeckt hatten), und lud uns schließlich zum Abendessen in sein Haus ein.

Hier zeigt er uns, wie hinter dem Haus Wasser gelagert und gefiltert wird — denn einen Trinkwasseranschluss hat Nadi natürlich nicht. Während das Sterilisieren des Trinkwassers durch Abkochen teuer ist, weil Brennholz am Nil selten und teuer ist, gelingt es mit solcher Tonkrug-Filterung leicht, auch aus Nilwasser gutes Trinkwasser zu erzeugen. Krankheitskeime bleiben in den Poren des Tons zurück. Das ist wichtig, denn am Nil ist beispielsweise die Bilharziose auch heute noch verbreitet — und die ist wirklich widerlich. Es handelt sich um eine Wurminfektion: Die Frühstadien der Würmer dringen selbst durch Fußsohlen in den menschlichen Körper ein und entwickeln sich dann beispielsweise in seiner Leber und möglicherweise auch im Gehirn weiter.

Auf dem Bild rechts siehst Du den Backofen der Familie. Vielleicht wirst Du mit einer gewissen westlichen Arroganz sagen: Na ja, technisch nicht ganz auf der Höhe. Aber das Gerät tut, was es tun soll, und zwar zuverlässig: Es backt Brot. Das durften wir am selben Abend noch erleben, als uns die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft zuteil wurde. Das Essen war einfach und lecker, und wir haben uns angemessen erkenntlich gezeigt.

Natürlich haben wir nicht die ganze Zeit fotografiert — das wäre unfreundlich gewesen. Daher ist die Zahl der Bilder, die ich hier anbieten kann, begrenzt. Verschiedene Motive, die Nadi uns gewährte, veröffentliche ich nicht.

Zum Schluss aber noch eins, das alles zeigt, was zum Backen der typischen flachen Fladen notwendig ist, mit denen man statt Messer und Gabel isst.

Und hier ist er noch einmal: Kapitän Nadi, diesmal als junger Vater. Seine Versuche, die angehende Feluken-Kapitänin schon mal an den Anblick von extraägyptischen Typen wie uns zu gewöhnen, sind augenscheinlich nicht von großem Erfolg gekrönt.

Es war nicht das einzige Mal, dass wir im Lauf unserer Feluken-Kreuzfahrt in Kontakt mit Menschen kamen, die am Nil lebten. Dieses Leben dort ist ein sehr einfaches, mancher würde vielleicht sagen: primitives Leben. Doch die Menschen, die wir sahen und mit denen wir sprachen, hatten ihren Stolz. Wenn sie unzufrieden waren, zeigten sie es nicht. Sie versuchten eher, uns zu beeindrucken. Ein Ortsvorsteher, den wir einige Tage später trafen, lud uns in seine Hütte aus Lehmziegeln zu Tee und hartem Gebäck ein. Stolz präsentierte er uns den Ventilator an der Decke — und machte dann ein bedauerndes Gesicht: Leider konnte er uns das Gerät nicht in Aktion vorführen, denn es gab gerade keine Elektrizität.

Am Ende waren wir drei Touristen diejenigen, die sich schließlich fragten, ob wir denn eigentlich mit unserem Leben zufrieden waren. Schließlich wirkte die Aussicht, nach unserem Urlaub, mit solchen Eindrücken im Gepäck, in unser europäisches Leben zurückzukehren, nicht besonders verheißungsvoll. Die Probleme des Lebens hier und dort lassen sich allerdings nicht vergleichen – zumal dann nicht, wenn man das andere Land im Urlaubsmodus erlebt.

Übrigens: Haarewaschen geht am Nil so. Ähnlich wie Geschirrspülen — siehe Teil 2 meiner Serie „Die ungewöhnlichste Reise meines Lebens„. Und wenn jetzt noch einer sagt, ich sei damals schlank gewesen, dann darf er sich bei mir einen Schlag an den Hals abholen.

Vielleicht fragst Du Dich jetzt: Eben redet er noch von den Gefahren der Bilharziose, und jetzt zeigt er so ein Bild? Ja, in der Tat, ich hielt Bilharziose für kein Risiko. Darin unter anderem bestärkt durch Hassan, unseren Reiseführer, der meinte: Hier am Oberlauf fließt der Nil viel zu schnell. Die Bilharziose-Würmer und ihre Zwischenwirte, Wasserschnecken, brauchen Schlamm, um sich zu entwickeln — also stehendes Gewässer wie in den Bewässerungskanälen, die das Fruchtland zu beiden Ufern des Nils durchfurchen. Ich hingegen hatte während der dringend notwendig gewordenen Kopfwäsche — ich glaube, das Foto entstand am vierten Tag unserer Reise — lediglich reinen, klaren Nilsand zwischen den Zehen und musste aufpassen, die Balance zu bewahren, denn der Nil hat tatsächlich eine enorme Fließgeschwindigkeit da oben zwischen Assuan und Luxor. Ich habe mich nicht infiziert.

Die Ägypter machen es ybrigens genauso. Hier kommt der Beleg: Das ägyptische Pendant zur samstäglichen Autowäsche, allerdings am Nil! Von Terror keine Spur.

Alle Bilder sind urheberrechtlich geschytzt und dyrfen nicht ungefragt verbreitet werden.

Fortsetzung folgt

 

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