„White House Down“: Grobmotorische Ironie

Urlaub hat durchaus Nachteile. Zum Beispiel bekommt man den einen oder anderen Filmstart nicht mit. Was aber auch nicht weiter schlimm ist, wenn der Film noch läuft, sobald man aus dem Urlaub zurückkommt. Das war bei „White House Down“ von Roland Emmerich der Fall. Hier meine Meinung zu diesem Streifen.

„White House Down“: Grobmotorische Ironie

Diesmal sprengt er es nicht, diesmal geht das Weiße Haus nur in Flammen auf. Wahre Emmerich-Fans dürften enttäuscht sein. Zu denen gehöre ich nicht, aber ich lasse mir trotzdem keinen Emmerich entgehen. Und diesmal hat es sich sogar gelohnt.

Bei einem Terroranschlag der etwas anderen Art fällt das Weiße Haus einer Gruppe von Terroristen in die Hand, die übelste Ziele verfolgen, in denen sie sich allerdings nicht ganz einig sind. Die einen sind mit 400 Millionen Dollar zufrieden, die anderen wollen sich in den Besitz des US-Atomwaffenarsenals bringen. Nur eines vereint sie: Der Hass auf den Präsidenten, gespielt von Jamie Foxx. Der ist schwarz, sucht den politischen Ausgleich und will Frieden mit Iran. Damit tritt er dem „militärisch-industriellen Komplex“ auf die Füße, der natürlich keine Waffensysteme und Munition mehr verkaufen kann, wenn die USA Frieden schließen. Also wird alles in die Wege geleitet für diesen Terroranschlag. Anders gesagt: Die Terroristen sind keine Islamisten. Das Übel ist amerikanischen Namens und Ursprungs und ist im Zentrum der US-Politik entstanden. Er fällt sogar mehrfach im Film, der sperrige Begriff „militärisch-industrieller Komplex“.

Ich gebe zu, dass ich zusammenzuckte, als dieser Begriff fiel. Ich wollte mich eigentlich nur mehr oder weniger harmlos unterhalten lassen und musste nun feststellen, dass Roland Emmerich in meinen Themen gewildert hat. So was aber auch! Dann wartete ich natürlich auf irgendeine Art von „Gesicht“ des militärisch-industriellen Komplexes. Aber dieses Gesicht — wie auch jede tiefere Erklärung — bleibt der Film schuldig. Man lernt nichts bei Emmerich. Muss man auch nicht. So bleibt für mich noch etwas zu tun. Wer mehr über den militärisch-industriellen Komplex erfahren möchte, der sei an dieser Stelle schon mal auf meinen neuen Roman „Virenkrieg“ verwiesen, mit dessen Veröffentlichung ich am 28. November beginne. Darin spielt der militärisch-industrielle Komplex eine ebenso gespenstische wie zentrale Rolle. Und er hat Gesichter.

Im Unterhaltungs-Mainstream angekommen

Offenbar hat es der militärisch-industrielle Komplex, vor dem schon US-Präsident Eisenhower warnte, nun also in den Unterhaltungs-Mainstream der USA geschafft. Und das in der Obama-Ära. Wenn dieser Begriff selbst im Hollywood-Mainstream von einem US-Präsidenten, dem zeitweise schuhlosen (!) Jamie Foxx, bemüht wird, dann besteht vielleicht eine gewisse Hoffnung, dass die USA doch noch zu retten sind. Auch wenn es nicht Jamie Foxx war, der den Schuh auf George W. Bush geworfen hat, sondern der irakische Journalist Muntazer al-Zaidi.

Ist das nicht süß? Ein Deutscher, der so unrettbar blöde Filme wie „Der Patriot“, „10000 B.C.“ und „2012“ zu verantworten hat, bringt ausgerechnet in dem Jahr, in dem sich das Attentat auf den US-Präsidenten John F. Kennedy zum 50. Mal jährt, den Begriff „militärisch-industrieller Komplex“ in das heimliche Zentrum seines neuesten Blockbusters und damit in das Bewusstsein breiter Schichten der Öffentlichkeit. Vielleicht ist dafür ja nur der auf den Megaseller-Erfolg schielende Instinkt des Hollywood-Schwaben Emmerich verantwortlich. Es war jedenfalls der richtige Instinkt. Trotz diverser Schwächen – dazu gleich mehr – ist „White House Down“ seit „Joey“ der beste Film von Roland Emmerich.

„Joey“, das weiß vielleicht nicht jede/-r, „zitierte“ sehr ausführlich und gut gemacht den Horror-Klassiker „Poltergeist“. Schon da zeigte sich, dass Roland Emmerich der bessere Amerikaner ist. Hier und da übertrieb er es später mit seiner Anpassung an den US-Patriotismus. Immerhin hat er uns dann keine „Top Gun“ beschert, sondern in „Independence Day“ und „2012“ Filme gemacht, die neben peinlichem Patriotismus einen gewissen Internationalismus beschwören, wenn auch unter amerikanischer Führung. Für Roland Emmerich sind die USA anscheinend das Zentrum der Welt. Es spricht einiges dafür, dass diese Wahrnehmung zumindest machtpolitisch nicht ganz unrealistisch ist. Leider zeigt er dieses Zentrum der Welt dann nicht, wie es wahrscheinlich wirklich ist, nämlich als Sumpf von Lügen, Kabalen und Intrigen wie im alten Rom, sondern er zeigt es — auch in „White House Down“ wieder — als eine Welt, in der ein gutherziger Präsident für alle das Beste will und der dafür auch schon mal einen Schuh opfert und dann – Achtung, Symbolik! – von einer Uhr gerettet wird, die einst Abraham Lincoln gehörte.

Wer in einen Emmerich-Film geht, der nimmt nicht nur platt gezeichnete Figuren, sondern auch logische Brüche gern in Kauf, um sich von nie dagewesenen, zuweilen monströsen Bildern überwältigen zu lassen und sanktionsfrei der infantilen Lust aufs Kaputtmachen nachgeben zu können. Dass psychologisch stimmige Figuren auch weiterhin nicht Emmerichs Stärke sind, wird niemanden überraschen. Diesmal betrifft das Problem allerdings den Anführer des Attentats und damit das Zentrum des Plots. Da kann man wie James Woods — großartig etwa in der Serie „Shark“ — ein toller Schauspieler sein und kann die Figur, die man spielt, trotzdem nicht glaubwürdig rüberbringen, einfach weil das Drehbuch an dieser Stelle sagenhaft schwach und unlogisch ist.

Weltumspannender Hass, schwach motiviert

Martin Walker (Woods) ist Chef des Secret Service. Er steht nicht nur kurz vor der Pensionierung, sondern hegt auch einen tiefen Groll gegen den Mann, den er eigentlich beschützen soll, dem er die Schuld am Tod seines Sohnes gibt: den Präsidenten. Darum will er nicht nur den Präsidenten umbringen, sondern auch gleich noch den Atomkrieg auslösen. Und weil das rein persönliche Motiv dann doch nicht ausreicht, um einen solchen weltumspannenden Hass zu motivieren, hat der arme Walker auch noch Krebs und sowieso nicht mehr lange zu leben. Es ist ihm also im Grunde alles egal, irgendwie.

Als Autor ahne ich, wie es zu solchen Schwächen kommt: Am Anfang steht der Wille, ein effekthaschendes Attentat auf das Weiße Haus zu verfilmen. Angesichts schärfster Sicherheitsmaßnahmen kann ein solches Attentat aber nur funktionieren, wenn einer aus dem Inneren des Apparats ganz wesentlich daran mitwirkt. Preisfrage: Wie motiviert man als Drehbuchautor einen solchen Verrat? Siehe oben — unglaubwürdig. Denn ein solcher Verrat ist unmöglich. Und wie macht man glaubwürdig, dass ein solcher Mensch, der infolge persönlich erlebten Leides ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte, trotz allerschärfster Sicherheitsmaßnahmen Chef des Secret Service bleibt? Indem man gar nicht erst darüber redet, dass er nach dem traumatischen Verlust natürlich abgelöst und auf einen ruhigeren, weniger verantwortungsvollen Posten  abgeschoben worden wäre! Aber dann wäre „White House Down“ nicht möglich gewesen. Wäre doch irgendwie schade gewesen.

Seinen Hang zur Gigantomanie hat der „Master of Disaster“ in „White House Down“ halbwegs im Griff, auch wenn die gute alte Air Force One, die den Präsidenten in „Independence Day“ noch zuverlässig in Sicherheit brachte, diesmal dran glauben muss. Was selbst Aliens nicht geschafft haben, bringen also US-amerikanische Terroristen zuwege. Es ist diese grobmotorische Ironie, die bei Emmerich immer besser erkennbar wird und die mir immer besser gefällt. So ließ er schon in einem der Höhepunkte von „2012“ das Weiße Haus, diese Intrigenbude, zerdeppern – und zwar vom Flugzeugträger „John F. Kennedy“, der von einer riesigen Flutwelle herangespült wird. Der 22. November 1963 ließ grüßen.

Der militärisch-industrielle Komplex ist mächtiger denn je, da hat Emmerich zweifellos recht. Aber er würde doch etwas diskretere Wege wählen, um einen Präsidenten loszuwerden. Eigentlich ist es ein Wunder, dass Barack Obama noch lebt — er hat neulich erst verhindert, dass die USA in einen Krieg gegen Syrien eintreten. Doch diese heimlichen Machtstrukturen filmisch zu erhellen, das wäre ohnehin nichts für den Grobmotoriker Emmerich. Dazu muss wohl Oliver Stone mal wieder ran. Das würde ich mir jedenfalls wünschen.

Eigentlich hat Roland Emmerich im Jahr 2009 bekannt gegeben, dass er nach „2012“ keine weiteren Katastrophenfilme mehr machen wolle: „Ich wüsste wirklich nicht, was ich danach noch zerstören sollte“, sagte er der Zeitschrift Merian. Aber siehst du, es muss nicht immer gleich die ganze Welt sein, es geht auch eine Spur kleiner. Nun warten wir mehr oder weniger gespannt auf „Independence Day 2“ und 3. Könnte sein, dass ich doch noch zum Emmerich-Fan werde, aber nur unter einer Bedingung: Auch in diesen Filmen sollen bitte wieder so wunderbare grobmotorisch-ironische Sätze fallen wie: „Der Vizepräsident hat die Air Force One vollgekotzt.“