Sethos und ich (3): Was ist ein „starker Herrscher“?

2ohneIch hatte angekündigt, in lockerer Folge über Sethos und mich zu schreiben. Der hölzerne Pharao, mein soeben erschienener neuer Roman, gibt mir Anlass, die Serie fortzuführen. Die Frage ist: Wie nähert man sich als Autor einer realen historischen Persönlichkeit an, die in ferner Vergangenheit in einer ausgesprochen fremdartigen Kultur gelebt hat und die man in einer fiktiven, aber möglichst realistischen Romanhandlung wiederbeleben möchte?

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Alles über Der hölzerne Pharao im Überblick: –> HIER.

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Sethos und ich (3): Ein starker Herrscher

Um die Frage von oben mit einem einzigen Wort zu beantworten: Vorsichtig! Es sollte Dir und mir immer klar sein: So plausibel ich den Pharao vielleicht auch darstelle — die Figur ist und bleibt Fiktion. Ich schreibe ja schließlich keine Biografie von Sethos. Ich zeichne ein Bild von ihm, aber ich kann mich irren, ja ich irre mich sogar sehr wahrscheinlich. Das wird aber vermutlich niemals jemand beweisen können, weil der Mann schon ziemlich lange tot ist und weil die historischen Quellen spärlich sind, und das macht die Sache natürlich spannend und gibt mir viel Freiraum.

Ich habe mich bisher zweimal in Ybersinn-Texten mit Sethos auseinandergesetzt, zuletzt mit dem Fokus auf sein erstes Regierungsjahr. Was ist ein „starker Herrscher“?, habe ich zuletzt gefragt — und die Antwort eigentlich schon gegeben: Einer wie Sethos. Allein durch seine entschlossenen Handlungen in den ersten Monaten seiner Herrschaft — seinen Feldzug nach Palästina, seine ungeheure Reiseaktivität nilauf nilab — dürfte er den Menschen mächtig imponiert haben. Sethos war tatkräftig, machtbewusst und achtete zugleich die Bedürfnisse seiner Untertanen, die ihn zu Gesicht bekommen wollten. Die Krönung eines Pharaos war nämlich kein singuläres Ereignis, sondern eine Folge von Ritualen, die ein Jahr und unzählige Feste umfasste, auf denen der Pharao in zahlreichen Orten seines Landes wieder und wieder gekrönt wurde, bis so gut wie jeder seiner Untertanen ihn persönlich gesehen hatte. Meistens zwar nur von ferne, wie man wohl unterstellen darf, aber immerhin. Jeder Untertan bekam ein Bild von seinem Herrscher.

Bei Sethos kam etwas hinzu, was Ägypten seit Tut-ench-Amun nicht mehr erlebt hatte: Zum ersten Mal seit der Krönung Tut-ench-Amuns (ungefähr 1332 v.C., also 42 Jahre vor Sethos‘ Krönung) folgte der Nachfahre eines Pharaos in direkter Linie auf den Thron, denn Sethos war der Sohn von Pharao Ramses I. Tut-ench-Amun wie auch die folgenden Pharaonen Eje und Haremhab hatten keine eigenen Nachkommen. Die alten Ägypter schätzten Stabilität und Kontinuität über alles, und eine solche direkte Thronfolge galt als Inbegriff von Stabilität und Kontinuität. Daher wurde der Sohn auch so früh wie möglich zum Mitregenten bestimmt. So geschah es Sethos, und so hielt Sethos es mit seinen eigenen Söhnen: Zunächst wurde Nebchasetnebet Mitregent und dann, nach dessen frühem Tod, Ramses, Sethos‘ zweiter Sohn, der später als Ramses II. ein so eindrucksvoller Herrscher wurde, dass selbst heute noch, 3300 Jahre später, jeder seinen Namen kennt.

Ägypten 1400 klein

Ägypten um das Jahr 1400 v.C. Grafik von Captain Blood und MichaelFrey.

Stabilität und Kontinuität, die Wahrung des Bestehenden — es fiel Sethos dank seiner Herkunft leicht, das Gesetz der Ma’at zu erfüllen. Das wurde von den Ägyptern nach unruhigen Zeiten für ein gutes Zeichen gehalten. Dies allein machte Sethos aber noch nicht zu einem „starken Herrscher“, ebenso wenig wie seine Reiseaktivitäten und seine militärischen Unternehmungen jeweils für sich genommen. Es kam noch etwas hinzu, was vielen Politikern (auch heutzutage) fehlt und das den Unterschied ausmacht: Weitblick.

Im Sinne des Gemeinwohls

Alle historischen Fakten sprechen dafür, dass Sethos das Ziel erreichte, das er bei seinem Amtsantritt verkündet hatte: die Wiedergeburt Ägyptens. Er regierte zwar nur elf Jahre, doch in dieser relativ kurzen Zeitspanne wusste er die Weichen offenbar so zu stellen, dass Ägypten wieder erstarkte. Wie aber hat er das gemacht? Es muss sich um eine Mammutaufgabe gehandelt haben, so wie sich die Situation Ägyptens im Jahr 1291 v.C. darstellte, dem Jahr, bevor Sethos Pharao wurde.

So habe ich — Achtung: Fiktion! — für meinen Roman Der hölzerne Pharao ein Krisenszenario entwickelt, das es in sich hat. Ägypten ist heruntergewirtschaftet. Seit etwa sechzig Jahren, also seit dem Amtsantritt des Echnaton, der sich für nichts außer Religion interessierte, wird die ägyptische Infrastruktur vernachlässigt. Stauwehre funktionieren nicht mehr, Bewässerungskanäle sind verschilft und verlandet, die Ernteerträge gehen zurück — und mit ihnen auch die Steuereinnahmen. Die Tribute aus den aufsässigen Fremdländern tröpfeln nur noch, und zu allem Überfluss kann Sethos sich darauf einstellen, dass sein eigener Hofstaat in Opposition zu ihm gehen wird, sobald er die Hand an die Privilegien der Höflinge legt. Und dann wäre da noch Amun, der verborgene Gott vom Tempel von Karnak, von dem Sethos abhängig ist und der nach Gold hungert, denn Gold ist das Fleisch der Götter. Doch Ägypten steht am Rand einer Wirtschafts- und Finanzkrise …

Piazza del Popolo klein

Der Flaminio Obelisk, der heute auf der Piazza del Popolo in Rom steht, wird Sethos I. und seinem Sohn Ramses II. zugeschrieben. Schon der römische Kaiser Augustus ließ ihn nach Rom bringen. Der Obelisk stand vorher in Heliopolis. Foto: WolfgangM via WikiCommons.

Was tut Sethos in dieser Situation? Er tut etwas, was jeder starke Herrscher tun würde: Er holt sich Rat. Er versammelt Menschen um sich, die in ihren jeweiligen Ressorts Überblick über die Lage haben und die sich wie er selbst dem Gemeinwohl im Sinne der Ma’at verpflichtet fühlen. Letzteres ist mir wichtig: Diese Leute sind keine Lobbyisten! Sie vertreten keine eigennützigen Interessen, sondern hängen der Idee an, dass es ihnen persönlich gut gehen wird, wenn es Ägypten insgesamt gut geht. Mit anderen Worten: Sie haben das Gemeinwohl im Blick. Die Wahrung und Mehrung des Bestehenden. Diese einfache Formel, die im alten Ägypten im Mittelpunkt allen Regierungshandelns zu stehen hatte, ist der Grund dafür, dass die altägyptische Kultur so einzigartig erfolgreich war und über mehr als 3000 Jahre Bestand hatte.

Ein „starker Herrscher“ ist vor allem ein weiser Herrscher

Nach diesem Ideal habe ich den Rat zusammengestellt, den Sethos in Teil 2 Einblicke meines neuen Romans Der hölzerne Pharao einberuft. Dieser Rat macht ihn erst handlungsfähig. Die klaren, entschlossenen Anweisungen, die er dann erteilt, bilden eine Art inneren Kompromiss. Wie jeder Kompromiss hat auch dieser Schwächen und Stärken, aber er macht es möglich, dass sich alle hinter ihm versammeln. Allerdings gibt es im Rat des Sethos auch ein paar Wackelkandidaten, die auf mehreren Hochzeiten zu tanzen versuchen. Das birgt natürlich Stoff für künftige Konflikte. Mehr wird an dieser Stelle aber nicht verraten.

Ehrlich gesagt würde ich gern erleben, dass heutige Politiker sich am ägyptischen Erfolgsmodell orientieren und sich mehr damit beschäftigen, Interessen auszutarieren, als Interessen durchzusetzen. Leider haben wir heutzutage keine Politiker von Format, die das können. Viele von ihnen — dieser Eindruck drängt sich förmlich auf — verstehen ihre Politik-Laufbahn offenbar eher als Empfehlung für gutbezahlte Jobs für die Zeit nach der politischen Karriere. Im Regierungshandeln meines fiktiven Pharaos Sethos I. skizziere ich den Gegenentwurf, bei dem es sich (natürlich, wie schon gesagt) um ein Ideal handelt. Übelmeinende Menschen würden sagen: um ein Märchen.

Ein starker Herrscher ist ein weiser Herrscher. So gestalte ich meine Sethos-Figur.

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Zu Teil 1 der Serie „Sethos und ich“ –> HIER

Zu Teil 2 der Serie „Sethos und ich“ –> HIER

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Eine 3300 Jahre alte hölzerne Statue gibt Rätsel auf, die nur mit abenteuerlichen Methoden gelöst werden können. Ein Botschafter a.D. ist in geheimer Mission in Kairo unterwegs, und eine bretonische Detektivin ermittelt gegen den Schurken Bernard Tedritov, der Theo Magenheim und seinen Leuten das Leben schwerzumachen versucht. Derweil geht Theo wieder auf Grabungstour – in Saqqara, dem größten bronzezeitlichen Friedhof der Welt. Eine Schnitzeljagd durch die Ewigkeit beginnt …

Der hölzerne Pharao erscheint in drei Teilen als E-Books in der Kindle-Edition von Amazon. Teil 1 Einschnitte hat rund 270.000 Zeichen (150 Seiten) und kostet 2,99 Euro.

Mehr über den Roman gibt es –> HIER.

Zum Download von Teil 1 –> HIER.
Zum Download von Teil 2 –> HIER.

Teil 3 Engpässe (399.000 Zeichen) erscheint am 4.12. dran und wird für 3,69 Euro zu haben sein.

Ecklogo neu kleinVon Lutz Büge stammen diese Bücher und E-Books:

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