Sethos und ich (2): Der junge Pharao

Wenn ich sage, dass ich mich dem Pharao Sethos anzunähern versuche und zugleich behaupte, ich würde mich mit ihm auseinandersetzen — passt das zusammen? Da könnte ja jeder schreien: Du lügst! Wieso setzt Du Dich mit ihm auseinander, wenn Du Dich ihm anzunähern versuchst? Müsstet ihr euch dann nicht viel eher zusammensetzen und nicht auseinander?

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Sethos und ich (2): Der junge Pharao

Im Moment fremdle ich ein bisschen mit diesem Menschen, diesem Pharao, denn er wollte nicht so, wie ich will. Ich hatte wirklich wunderbare Pläne mit ihm! Wollte eine schöne Erfolgsgeschichte schreiben von einem ambitionierten Regierungschef, der das Land in schwieriger Zeit übernimmt und es dann aufbaut. (In meinem neuen Roman „Der hölzerne Pharao“ soll es nämlich Rückblenden in das Jahr 1290 (v.C.) geben.) Habe schon eine Passage geschrieben, in der Pentu, der Vertraute des Pharao und sein Wesir für Unterägypten, nach einer Inspektion der Bewässerungsanlagen im Nildelta nach Men-nefer, der Hauptstadt Unterägyptens, zurückkommt und alles in Krisenstimmung vorfindet, weil die Vasallenstaaten Retjenu und Naharina ungehorsam sind. Sie versuchen auszutesten, wie weit sie gegenüber dem neuen Herrscher am Nil gehen können. Und Sethos, so mein Szenario, kann sich derzeit keinen Feldzug leisten, um sie zur Räson zu rufen, denn Ägyptens Wirtschaft ist gerade ein bisschen schwach auf der Brust …

Wie komme ich nur dazu, einen solchen Unfug zu entwerfen? In Wirklichkeit hat Sethos nämlich sofort einen Feldzug unternommen und unter anderem die Stadt Bet Sche’an (im heutigen Nordisrael) daran erinnert, wem der Gehorsam gehört. Das war sogar eine seiner ersten Amtshandlungen. Er muss sofort nach seiner Krönung mit den Vorbereitungen für diesen Feldzug begonnen haben – vielleicht aus genau denselben Erwägungen, die ich meinen fiktiven Sethos habe anstellen lassen: Wir sollten ganz schnell einen Pflock einrammen, damit die tributpflichtigen Länder dort im Nordosten gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen. Und immer wieder dieses aufmüpfige Kadesch!

Bet Sche’an ist eine Stadt, die es noch heute gibt. Sie war zu Sethos‘ Zeiten weit bedeutender als heute, weil sie nahe einer Jordan-Furt liegt, die damals strategisch wichtig war. Auf dem Foto siehst Du die Fundamente des Palastes, in dem seinerzeit der ägyptische Gouverneur residierte. Thutmosis III. hatte die Region erobert. Seitdem spielten die Staaten und Stadtstaaten auf dem Gebiet des heutigen Palästinas, Syriens und des Libanon eine große strategische Rolle, nicht nur für die Ägypter. Auch eine andere Großmacht, die Hethiter, und später die Assyrer machten hier ihren Anspruch geltend. Das Gebiet war umkämpft, und es ging nicht nur darum, Tribute aus diesen Städten und Ländereien zu pressen, sondern es ging um den Großmachtstatus, der im Ringen um diese Gebiete ausgefochten wurde. Unter Thutmosis III., der rund 150 Jahre vor Sethos regiert hatte, umfasste das ägyptische Staatsgebiet weite Teile dieser Weltgegend.

Kaum fahre ich mal ein paar Tage in den Urlaub, schon schreibe ich solchen Unsinn, von wegen: Kein Geld für Feldzug! Dabei vertrete ich den Anspruch, die Sethos-Geschichte, die ich erzählen möchte, so zu fassen, dass sie zu den historischen Fakten passt. Ägypten war zu Beginn der Sethos-Zeit zwar nicht unbedingt auf dem absoluten Höhepunkt seiner Macht, aber für solche Demonstrationen der Schlagfertigkeit war es fit genug. Es war nun Sethos‘ Aufgabe, es wieder stärker zu machen.

Genau. Und darum halten wir jetzt mal kurz inne und holen zwei-, dreimal tief Luft, denn in meinem Artikel finden sich Aussagen, die für Menschen, die Genauigkeit lieben, historisch unsauber sind. Die erste Ungenauigkeit steckt schon in der Überschrift: der „junge Pharao“. Zum Zeitpunkt seiner Machtübernahme war Sethos 32 oder 33 Jahre alt. Das mag nach heutigen Maßstäben jung sein; nach damaligen war er damit ein reifer Mann. Das „jung“ in der Überschrift habe ich dennoch bewusst gewählt, um klarzumachen, dass ich über die Anfänge des gerade erst inthronisierten Herrschers schreiben wollte, der zu diesem Zeitpunkt nicht jung an Lebens-, aber an Herrscherjahren war.

Die zweite Ungenauigkeit steckt in der Formulierung, Sethos müsse „sofort nach seiner Krönung, die im März 1290 stattgefunden hat, mit den Vorbereitungen …“ für den Feldzug angefangen haben. Das Problem hierbei: Ein altägyptischer Pharao wurde nicht einfach gekrönt, sondern er durchlief ein ganzes Krönungsjahr, in dessen Verlauf seine Krönung wieder und wieder bestätigt und wiederholt und durchexerziert wurde. Der erste Krönungsakt im Fall Sethos erfolgte im Rahmen des Fests des Amun-Re im oberägyptischen Theben Anfang März 1290. Dann folgten Feste wie das „Vereinigungsfest“, das Sed-Fest, das Opet-Fest und Bräuche wie das „Umschreiten der weißen Mauern“, womit die Mauern von Men-nefer gemeint waren. Die alten Ägypter wussten zu feiern und hatten sich dafür im Lauf der Jahrhunderte unzählige Anlässe geschaffen, und ihrem Pharao gaben sie so ein gutes Dutzend Gelegenheiten, sich im Lauf des Jahres in allen Winkeln des Reiches zu zeigen.

Vor diesem Hintergrund wird Sethos‘ Feldzug gen Bet Sche’an allerdings erst richtig beeindruckend. Ich habe mir mal die Mühe gemacht zu versuchen, die Aktivitäten des ersten Regierungsjahres des Sethos aus altägyptischer Zeitrechnung in unseren Kalender zu übertragen — und das war keine Kleinigkeit! Erleichtert wurde dieses Unterfangen dadurch, dass der Neujahrstag der alten Ägypter, 1. Achet I, im Jahr 1290 ziemlich genau auf jenen Tag fiel, der für uns der 1. Juli ist. Damit begann die Jahreszeit der Schwemme, Achet.

Das Fest des Amun-Re wurde um den ersten Neumond im Monat Renutet (Schemu I) gefeiert; das war im Jahr 1290 schätzungsweise der 9. oder 10. März; d.h. hier haben wir das erste der Krönungsdaten des Sethos. Am Beginn von Schemu III, also sieben, acht Wochen später, führt Sethos schon seinen Feldzug gegen Retjenu und Bet Sche’an, der — das darf man unterstellen — von Men-nefer aus in Angriff genommen wurde, das etwa tausend Kilometer nilabwärts von Theben liegt. Kaum acht Wochen später ist er zurück aus Palästina — damals: Retjenu — und wieder in Men-nefer, wo er Siegesopfer darbringt, und zwei Wochen später, Mitte Juli 1290, geht seine Krönung auf dem Opet-Fest in Theben weiter. Erneut die tausend Kilometer bis hinauf nach Theben, gegen die Strömung des Nils, dafür aber mit dem Wind im Rücken … Sethos war ziemlich auf Achse in diesem ersten Vierteljahr seiner Herrschaft. Das dürfte jung gehalten haben.

Das beeindruckt nicht nur mich, der ich mich diesem Menschen namens Sethos anzunähern versuche, sondern das dürfte auch die Zeitgenossen beeindruckt haben. Man muss sich das einmal vorstellen, welche Distanzen da im Spiel waren. Tausend Kilometer — für uns, die wir heute leben, ist das nichts. Das entspricht der Entfernung von Offenbach, wo ich wohne, nach Saint Remy de Provence, wo ich gerade eine Woche Urlaub gemacht habe. Für die alten Ägypter — und für alle Menschen jener Zeit — waren das jedoch Entfernungen, die kaum zu begreifen waren. Die alten Ägypter mussten — und sollten — den Eindruck gewinnen, einen äußerst tatkräftigen neuen Pharao zu haben.

Das war keine Selbstverständlichkeit für die damaligen Menschen am Nil. Von den fünf Pharaonen, die Sethos vorangegangen waren, hatten sich zwei mehr mit Religion als mit Staatskunst beschäftigt, zwei waren alternde Generäle gewesen und einer ein greiser Bürokrat. Und die Ära dieser fünf Pharaonen — Echnaton (Amenophis IV.), Tut-ench-Amun, Eje, Haremhab und Ramses I. — umfasste immerhin rund 60 Jahre. Das entspricht zwei Menschenaltern damaligen Ermessens. Soll heißen: So gut wie keiner der Ägypter, die zu Sethos‘ Zeiten lebten, hatte einen „starken“ Herrscher erlebt. Sethos dürfte diesen Menschen daher mächtig imponiert haben.

Ich bin an einem Punkt, an dem mir mal wieder klar wird, dass ich nicht im luftleeren Raum schreibe. Was ich über Sethos resümiere, führt dazu, dass ich mich frage, wie künftige Generationen über die Herrscher unserer Zeit schreiben werden, wenn sie versuchen, sich ihnen anzunähern. Wird George W. Bush einmal als George der Große bezeichnet werden, weil er Saddam Hussein besiegt hat? Oder Putin — Wladimir der Große? Was kennzeichnet einen „starken“ Herrscher? Denn ich betrachte Bush nicht als demokratisch gewählt; wir sollten nicht vergessen, dass er nur durch Wahlbetrug gegen Al Gore an die Macht kam. Und Putins „landgrabbing“ auf der Krim, wird ihn das in die Geschichtsbücher eingehen lassen als einen, der sein Land groß gemacht hat? Was ist ein „starker“ Herrscher? Darüber möchte ich demnächst schreiben. Mir scheint jedoch, dass sich die Zeiten seit Sethos nicht wesentlich geändert haben. Dass Sethos für sein Land ein Großer war, steht für mich dabei allerdings schon fest.

Es ist alles eine Frage der Perspektive.

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Der Osiris-Punkt

Die mächtigen, beleuchteten Kolonnaden des Sethos-Tempels schienen nur einen Steinwurf weit entfernt. Mitten aus dem Ort erhob sich das alte Bauwerk, doch es war früher hier gewesen als jedes Haus in Abydos, früher als Islam und Christentum, und entsprechend selbstbewusst und schweigend ragte es aus damaliger Zeit in die Gegenwart hinein …

Packendes Wüstenabenteuer um einen sagenhaften Pharaonenschatz und um Menschen, die auf der Suche nach sich selbst sind. Kenntnisreich und spannend erzählt. Nur als E-Book!

Der Osiris-Punkt. Lutz Büge. E-Book. Ca. 624 Seiten. ISBN 9783844285673. Preis der Komplettversion: 9,99 Euro. Dreiteilige Version in der Kindle-Edition bei Amazon (Teil 1, 2, 3).
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