Tom Clancys „Command Authority – Kampf um die Krim“

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Man soll ja nicht immer nur Sachen lesen, die einen in dem bestärken, was man ohnehin schon zu wissen glaubt. Ab und zu mal was anderes, das kann sehr interessant werden. Frederick Forsyth werde ich trotzdem nicht mehr lesen. Aber ab und zu mal ein Tom Clancy — das kann ganz lustig sein.

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Tom Clancys „Command Authority – Kampf um die Krim“

Man reibt sich die Augen, wenn man liest, was Tom Clancy  sich da 2013 zusammenfabuliert hat: Russland greift die Ukraine an und annektiert die Krim. Clancy, der Meister des Trash-Thrillers, hatte schon früher hellsichtige Momente: In seinem Roman „Ehrenschuld“ hatte er 1994 einen Anschlag auf die USA thematisiert, der mit einer Boeing 747 durchgeführt wurde. Zwar hatte er nicht Islamisten als Täter auf dem Radar; es ist ein Japaner, der den Anschlag verübt. Das Szenario hat aber solche Ähnlichkeiten mit den Attentaten auf das World Trade Center vom 11. September 2001, dass Clancy (angeblich) von der US-amerikanischen Regierung als Berater hinzugezogen wurde. So weit kann man kommen, wenn man eine lebhafte Phantasie hat. Ich darf also noch hoffen, oder?

Ein ähnlicher Coup scheint Clancy und seinem Co-Autor Marc Greaney auch mit „Command Authority — Kampf um die Krim“ gelungen zu sein. Das Szenario ist durchaus spannend, wenn auch, wie bei Clancy üblich, militaristisch und hemmungslos amerikanisch: Der russische Präsident Wolodin inthronisiert einen neuen, ausgesprochen zupackenden Geheimdienstchef, der den russischen Geheimdienst FSB zu KGB-Qualitäten zurückführt, und greift zuerst Estland und später die Ukraine an. Was Estland betrifft, verzockt sich Wolodin. Er baut darauf, dass die NATO nicht eingreifen wird — denn wegen Estland werden diese Weicheier doch keinen Krieg mit dem mächtigen Russland riskieren! Tatsächlich, so kommt es. Clancy mag die NATO nicht, diesen Debattierclub, sondern er ist ein Freund von zupackender Männlichkeit, und so sind die Typen, die Estland schließlich vor dem bösen Russland retten, kantige Kerle vom Typ Kauboy hoch zehn. Und sie sind Amerikaner. Natürlich.

Das ist durchaus unterhaltsam aufgezogen. Man darf nur keine Ansprüche an die Sprache stellen. Da rollen sich einem mitunter die Zehennägel hoch. Wiederkehrende Formulierungen wie „Er zwang sich ein leises Lächeln ab“ sind da fast noch das kleinere Übel. Was bitteschön ist ein leises Lächeln? Das Gegenteil von lautem Grinsen? Oder: „Offensichtlich schien C&B [ein Finanz-Unternehmen] seine Finger in praktisch jedem noch so kleinen Bereich der internationalen Finanzwelt zu haben.“ Offensichtlich schien? Offensichtlich hatte, oder? Oder: C&B schien seine Finger … Aber offensichtlich schien? Hmmm. Es wimmelt vor Füllwörtern. Da suchen Agenten „die umliegenden Bäume nach irgendwelchen gegnerischen Zielen ab“, da wird innerhalb eines Satzes die Erzählperspektive von innen auf außen geschaltet. Bei dieser Masse an Stilblüten wundert es nicht, dass der SBU, der Sicherheitsdienst der Ukraine, sogar eine „Abteilung für Korruptionsbekämpfung und organisiertes Verbrechen“ unterhält. Sprachlicher Dreck wie dieser führt dazu, dass man Clancy nicht ernst nimmt. Und das ist auch gut so, denn dem Autor geht es eigentlich nur darum, vor einem durchaus realistischen Szenario mit von ihm so empfundenen männlichen „Werten“ und mit militärischen Kenntnissen zu protzen. Frauen sind in „Kampf um die Krim“ entweder klassische Heulsusen oder Bedenkenträgerinnen, sofern sie überhaupt vorkommen.

Ganz großes Kino

Protagonist ist übrigens ein gewisser Jack Ryan jr., dessen Vater Jack Ryan inzwischen US-Präsident ist. Dieser war vorher CIA-Analyst, und das ist sein Sohn nun auch. Clancy hat ein ganzes Jack-Ryan-Universum geschaffen, angefangen mit seinem ersten Verkaufserfolg „Jagd auf Roter Oktober“ von 1984. Wie wahrscheinlich es ist, dass ein CIA-Analyst US-Präsident wird, das darfst Du Dir gern selbst überlegen. In diesem Teil seines Plots kommt es Clancy nicht auf Realismus an. In jenen Teilen aber, in denen es um Kommando- und Geheimdienstaktionen geht, ist er hyperrealistisch — und diese Teile seiner Romane sind es auch, derentwegen ich Clancys Romane trotz aller Kritik und aller Einwände gern lese.

Jack Ryan — der Alte — wird in Rückblenden, die vor 30 Jahren spielen, mit Machenschaften des KGB um ein Schweizer Nummernkonto konfrontiert, auf das mörderische Summen eingezahlt werden. In der Gegenwart kommt Jack Ryan jr., sein Sohn, Machenschaften von Gazprom auf die Schliche, bei denen es um viele Milliarden Dollar geht. Der Junior deckt diese Aktivitäten gegen alle Widerstände auf und landet dabei, welche Überraschung, im Kreml. Wie das erzählt ist, wie diese Handlungsstränge mit der militärischen Eskalation verschränkt werden und wie das alles mit dem legendären Phantomkiller des KGB namens Zenit zusammenhängt — das ist in der Tat ganz großes Kino. John le Carré, der Meister des Spionage-Thrillers, hätte das natürlich viel eleganter hinbekommen, denn bei le Carré steht die Psychologie im Vordergrund, bei Clancy dagegen die rohen Mechanismen. Aber das ist trotzdem durchaus spannend.

Fragwürdige Botschaften

Das Problem dieses Romans ist vor allem — wie immer — Clancys hemmungsloser Patriotismus. So hat Jack Ryan, der Präsident, eine Geheimdienst-Sondereinheit geschaffen, die an den „unabhängigen“ Geheimdienst von Donald Rumsfeld während der Präsidentschaft von George W. Bush erinnert. Rumsfeld und Vizepräsident Cheney misstrauten damals der CIA und wollten unabhängige Strukturen schaffen, auch um schneller gegen Terroristen eingreifen zu können. Bei Clancy trägt diese Sondereinheit den harmlosen Namen „Campus“, und seine Mitglieder sind natürlich alle good boys, die problemlos mit allen anderen good boys zusammenarbeiten. Ja, Jack Ryan jr. kann sogar CIA-Analayst gewesen sein, und trotzdem kann er ohne die geringsten Animositäten bei „Campus“ mitmachen. Man arbeitet reibungslos zusammen. Alle Amerikaner haben nur das eine im Blick: das Gute.

„Campus“ wurde geschaffen, um — in Clancys Worten — „auch einmal Methoden anwenden“ zu können, „die einer offiziellen staatlichen Organisation verwehrt wurden“. Der „Campus“ gewinnt seine Informationen bei Clancy dadurch, dass er den Informationsfluss zwischen CIA und NSA abhört. Eine geheime Organisation also, die nur dem Präsidenten Rechenschaft schuldet und außerhalb jeder Kontrolle steht. So muss das eben sein, wenn man mal Methoden anwenden will, die — wie war die Formulierung noch gleich? — offiziellen staatlichen Organisationen verwehrt sind. Anders ausgedrückt: kriminelle Methoden. Natürlich im Sinne der nationalen Sicherheit, ach was: der Sicherheit der ganzen Welt. Denn die Amerikaner sind nun einmal die Guten.

Das muss man wissen, wenn man sich auf Clancys Romane einlässt. Man wird dabei gewinnen. Mir geht es jedenfalls so. Clancys naiver Patriotismus ist oft ungewollt komisch; das sorgt für heitere Momente. Doch dabei schleicht sich auch der Verdacht ein, dass der konservative US-Amerikaner unserer absolut realen Gegenwart möglicherweise genauso ticken könnte wie Clancy. Das ist ein bedrückender Gedanke — einerseits. Andererseits haben diese schlichten Botschaften auch etwas Erfrischendes an sich: Das Leben könnte so einfach sein.

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Tom Clancy ist am 1. Oktober 2013 gestorben. Von ihm existieren gut 20 Romane und mehrere Sachbücher. Clancys Romane wurden in millionenfacher Auflage gedruckt; insgesamt wurden mehr als 100 Millionen verkauft.

Tom Clancy: Command Authority – Kampf um die Krim. Übersetzung: Michael Bayer. Heyne-Verlag München, 2014. Hardcover. 846 Seiten. 24,99 Euro.

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Vom Autor dieses Artikels, Lutz Büge, sind bisher diese E-Books erschienen:

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