Wie Gisèle, die Detektivin, dann doch nicht getötet wurde

Osirispunkt großKürzlich bin ich Gisèle Cochevelou wiederbegegnet, der Bretonin aus Nantes. Der Witz dabei ist, dass Nantes nicht zur Bretagne gehört — was aber wiederum eigentlich gar nicht witzig ist, wenn man die Hintergründe kennt. Witzig ist vielmehr, dass ich sehr über Gisèle lachen musste. Peinlich, oder? Ein Autor, der über eine von ihm selbst erschaffene Romanfigur lacht! Aber das kann nun mal passieren, wenn man wieder liest, was man vor zehn Jahren geschrieben hat.

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Wie Gisèle, die Detektivin,
dann doch nicht getötet wurde

Es war einmal ein Hexerhäuschen in einer Gegend in Südfrankreich, in die sich normalerweise kaum ein Schwein verirrt außer ein paar verrückten Deutschen. Jeder vernünftige Franzose hatte längst das Weite gesucht, aber ein paar waren doch schlau genug, sich zu überlegen: Un moment si’l vous plait — es mag ja sein, dass cette belle region uns Franzosen nicht gut tut, aber vielleicht ist sie ja eine plaisir für unsere lieben Nachbarn aus l’Allemagne?

Ja, so fix können sie sein, unsere lieben Nachbarn aus Frankreich, und so wurde das Hexerhäuschen in einem Katalog im fernen Deutschland als Ferienhäuschen angeboten — natürlich ohne auch nur anzudeuten, dass die Küche quasi nur zur Mitbenutzung verfügbar war. Den Hauptanspruch auf diese Küche stellte nämlich der Ameisenschwarm, der darin seine Hochzeitsflüge zelebrierte. Hei, war das ein Summen und Sirren!

Es war eine durch und durch tote Gegend, in die es jene vier Deutschen da verschlagen hatte — oder kannst Du mir verraten, wer gern Urlaub in einem Hexerhäuschen macht, das einen Kilometer vom nächsten Haus und fünf Kilometer vom nächsten Dorf entfernt liegt, welches, nebenbei gesagt, auch noch gut 400 Meter tiefer liegt, so dass es nicht so einfach ist, mal eben schnell mit dem Fahrrad zum Bäcker zu fahren? Dabei waren sie unter anderem zum Fahrradfahren hergekommen, diese blöden Deutschen! Und zum Schlafen! Zum ausruhen und ausspannen. Hätte ihnen nur jemand vorher gesagt, dass es da oben, wo das einsame Hexerhäuschen stand, nachts verdammt still werden konnte, so dass jeder Atemzug der Wildschweine zu hören war, die sich dann an den steinernen Flanken des Hexerhäuschens schrubberten. Zu still, um zu schlafen!

Auf dem Bild nebenan kannst Du sehen, wie tot es in der Gegend war. Felsen wohin Du guckst! Anfangs wundert man sich ja noch, wie es die Bäume schaffen, sich in diesen Spalten in luftiger Höhe festzuklammern, aber spätestens nach dem dritten Baum, der das ganz prächtig hinbekommt, denkst Du: Scheint für die ja ganz normal zu sein. Als nächstes bewunderst Du dann also den Fluss, der sich in Jahrmillionen tief, tief in dieses einsame, karstige Hochplateau gegraben hat — so tief nämlich, dass Du jeden Tag gut 400 Meter hinaufradeln musst, um zum Hexerhäuschen zurückzukommen, und dann denkst Du natürlich: Wenn der Fluss das nicht gemacht hätte, dann hätte ich es heute bequemer. Scheiß Fluss!

Nun wollen wir die Gegend aber mal nicht schlechter machen, als sie tatsächlich ist. Lobenswert hervorzuheben wäre beispielsweise, dass die Franzosen — bevor sie gegangen waren — durchaus baumeisterliche Qualitäten zeigten, wie sie sich hier Deiner hoffentlich uneingeschränkten Bewunderung bieten. Ich frage mich im Nachhinein, warum niemand von den doch sonst so findigen Franzosen auf die Idee gekommen ist, dieses Haus in einem Katalog für Deutsche zum Mieten als Ferienhaus anzubieten. Ich hätte garantiert sofort zugegriffen, denn dort gab es mit Sicherheit keine Wildschweine!

Ja, man kann schon sein blaues Wunder erleben, wenn man sich einmal auf die französische Provinz einlässt. Und damit meine ich nicht die Provence, sondern die Provinz. Die hier beschrieben wird, ist ein Naturschutzgebiet namens Causses du Tarn, wobei Tarn der oben beschriebene Fluss ist. Diese Causses sind Karstgebiete, soll heißen, alles Wasser versickert da sofort und taucht nie wieder auf. Wie meine nächtliche Ruhe.

Eigentlich war ich ja unter anderem auch deswegen dorthin gefahren, um Ruhe zum Schreiben zu finden. Ich war ein wenig verwirrt. Kurz zuvor hatte ich für den Männerschwarm-Verlag einen Roman zusammen mit Charles Dickens geschrieben. Jenem Charles Dickens, der auch „Oliver Twist“, „David Copperfield“ und noch weitere wundervolle Romane geschrieben hatte. Und wie wir zwei, der Charlie und ich, also „Das Geheimnis des Edwin Drood“ zu Ende brachten — eine Leistung, zu der Charlie nicht mehr fähig gewesen war, weil er vor Abschluss des Romans hatte sterben müssen –, da war mir Gisèle Cochevelou eingefallen. Und sonderbarerweise war mir auch sofort klar, dass Gisèle rasch würde sterben müssen — allein schon wegen dieses Namens. Aber vorher brauchte ich sie als Detektivin in meinem neuen Roman. Und über den wollte ich nachdenken. Nun denk‘ Du aber mal über Romanfiguren und ihre Ermordung nach, wenn Du in einer Gegend unterwegs bist, die dermaßen schaurig ist wie auf dem folgenden Foto:

Soll heißen: Alle waren dauernd schlecht gelaunt wegen der fürchterlichen Umgebung. Immerzu nur rauf und runter und so. Felsen, Bäume, hin und wieder mal ein Dorf, okay, aber Myriaden von Insekten (außerhalb der Küche) — nicht zu vergessen die Wildschweine! Wir Menschen sind einfach nicht für die Natur geschaffen.

Da half nur die Flucht in den Alkohol. Wer da neben mir (rechts) zu diesem Zeitpunkt noch so freundlich lächelt, der heißt Steffen und wird mir kurz darauf androhen, mir die Freundschaft aufzukündigen für den Fall, dass ich Gisèle Cochevelou wirklich umbringe. Ich hatte aus meinem Skript vorgelesen, doch alle meine Einwände, warum Gisèle den Tod verdiente, verhallten oder wurden abgeschmettert. Eine Frau wie Gisèle dürfe niemals sterben, hieß es. Darauf ich: Aber allein schon der Name! Die Antwort: Dann fass dich mal an die eigene Nase — oder findest Du Deinen Namen etwa toll? Darauf ich: Aber die Frau muss sterben — sie ist Bretonin aus Nantes, und das ist per se etwas Unerträgliches, weil Nantes während des Vichy-Regimes, also während die nördliche Hälfte Frankreichs von den Nazis besetzt war, einfach von der Bretagne abgetrennt worden war ungeachtet aller gewachsenen historischen Verhältnisse, und wer wird denn so etwas aushalten können? Ich beeindruckte nicht. Die gesamte Sippschaft revoltierte, und so musste ich letztlich versprechen, Gisèle mit einem blauen Augen davonkommen zu lassen. (Im Hintergrund links übrigens die Tür zur Küche, wo die Ameisen zu schwärmen beliebten.)

Der ganze Urlaub war einfach ein Desaster. Nix los in der Gegend, außer Felsen nix gewesen, und dann darf ich noch nicht einmal meine eigene selbsterfundene bretonische Detektivin umbringen!

Zehn Jahre später lese ich den Text, den ich damals geschrieben habe, schaue mir die Bilder an, die ich hier auch veröffentliche, und denke: Na ja, war vielleicht doch ganz gut, dass du sie hast leben lassen, Lutz. Du weißt ja, dass sie dir in „Der hölzerne Pharao“ gute Dienste leisten wird. Vielleicht willst du Gisèle Cochevelou, diese traurige Bretonin mit der juckenden Perücke, ja später hier und da noch einmal einsetzen? Also möge sie leben!

PS: Wir haben nie wieder ein so einsames Ferienhaus gemietet, so nett der Typ da, der mein Gatte ist, auch aus dem Schlafzimmerfenster schaut.

Der hölzerne Pharao wird mein nächster Roman. Die Detektivin Gisèle Cochevelou spielt darin eine Hauptrolle. Zurzeit rechne ich damit, dass Der hölzerne Pharao ungefähr im September erscheint. Schau einfach immer mal wieder auf Ybersinn.de vorbei, wenn Du auf dem Laufenden bleiben willst. Der hölzerne Pharao ist Teil 2 des Amduat-Zyklus‘ und die Fortsetzung von Der Osiris-Punkt.

Update: Inzwischen ist Der hölzerne Pharao als E-Book erschienen.

Du erfährst alles über diese Veröffentlichung –> HIER.

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Der Osiris-Punkt

Die mächtigen, beleuchteten Kolonnaden des Sethos-Tempels schienen nur einen Steinwurf weit entfernt. Mitten aus dem Ort erhob sich das alte Bauwerk, doch es war früher hier gewesen als jedes Haus in Abydos, früher als Islam und Christentum, und entsprechend selbstbewusst und schweigend ragte es aus damaliger Zeit in die Gegenwart hinein …

Packendes Wüstenabenteuer um einen sagenhaften Pharaonenschatz und um Menschen, die auf der Suche nach sich selbst sind. Kenntnisreich und spannend erzählt. Nur als E-Book!

Der Osiris-Punkt. Lutz Büge. E-Book. Ca. 624 Seiten. ISBN 9783844285673. Preis der Komplettversion: 9,99 Euro. Dreiteilige Version in der Kindle-Edition bei Amazon (Teil 1, 2, 3).
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